Triebel - Istanbul

In 18 Tagen durch 11 Länder

Es sind wieder zwei Jahre vergangen. Die Klassiker Giro, Tour und Vuelta sind "abgearbeitet". Auf der Suche nach neuen Herausforderungen haben wir uns 2012 an Südosteuropa gewagt. Während in Italien, Frankreich und Spanien der Radsport einen festen Platz einnimmt, sieht es in dieser Beziehung weiter östlich doch anders aus. Der Abenteuerfaktor steigt etwas - wenngleich alles sicher noch berechenbare Länder sind. Insofern hatten wir keinerlei Bedenken was die Sicherheit anbelangt - was sich dann auch bestätigt hat. Als Ziel haben wir uns Istanbul ausgesucht und den Weg dorthin so gewählt, dass wieder nahezu 3000km zusammenkommen. Dabei sollten 12 Länder bereist werden, in der Reihenfolge: Deutschland, Tschechien, Österreich, Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien, Rumänien, Bulgarien, Mazedonien, Griechenland, Türkei. Diese Route lässt einiges an Abkürzungen zu, so dass wir im Bedarfsfall maximal 4 Tage einsparen konnten. Da sich für unseren Rückholservice kurzfristig ein paar Terminschwierigkeiten ergaben, mussten wir leider sofort einen Tag opfern. Hier hat es dann Mazedonien getroffen, so dass aus der 12-Länder- schliesslich eine 11-Länder-Tour wurde. Den unterschiedlichsten (ganz subjektiven) Wünschen der Teilnehmer entsprechend waren als Pflichtstationen Wien, Alsóörs am Balaton, Pécs, und das Eiserne Tor vorgesehen. Automatisch hat sich dann ergeben, dass auch solche Großstädte wie Bratislava, Belgrad und Sofia durchquert wurden. Der höchste Punkt der Tour war der Petrohan Pass mit 1446m ü.d.M., was gleichzeitig die Überschreitung des Balkan-Gebirges bedeutete.

Unser geplanter Weg nach Istanbul.

Die Vorbereitung erfolgte in der altbewährten Art. Doch das Internet erleichtert die Arbeit wesentlich. Bei der Tour selbst wurde dann auf "moderne" Navigationshilfen verzichtet, wenngleich das verfügbare Kartenmaterial teilweise schon etwas "grob" war. Aber wie sich dann bitter bewahrheitet hat, ist es in den Balkanländern ohnehin sinnvoll nur Straßen 1. und 2. Ordnung zu befahren. Doch dazu später. Bisher immer zu zweit unterwegs gewesen, Winfried Bahmann (56, Triebel) und Manfred Rahmig (54, Dresden), hatte diesmal der "Navigator" von www.tour-d-europe.de (28, Dresden) die Mitfahrerlaubnis beantragt. Dem wurde stattgegeben, da für die alten Hänger eine junge Lokomotive nur gut sein konnte. Das hat sich dann auch positiv ausgewirkt. So ganz nebenbei und kaum bemerkt hat dann der Navigator auch die Tourleitung übernommen, was sich in oftmals alternativen Routen und der Idee auch einmal schnell den Zug zu benutzen, widergespiegelt hat. Insgesamt war es aber eine Bereicherung in Form von mehr Sehenswürdigkeiten und vielleicht etwas weniger Höhenmetern. Also gleich mal ein Lob an dieser Stelle.

Was die sprachliche Vorbereitung anbelangt war es diesmal schwierig. Man kann sich schwer auf 9 fremdsprachige Länder vorbereiten. Insofern haben wir hier nichts gemacht und uns darauf verlassen, dass jüngere Leute vielleicht etwas Englisch verstehen. Ansonsten hatten wir noch eine blasse Erinnerung an das Russisch der Schulzeit und der Navigator hat noch ein paar "slawische" Sprachkenntnisse mitgebracht. Dann gab es für die jeweiligen Länder noch eine kurze Liste mit solchen wichtigen Worten, wie "Hallo", "Auf Wiedersehen", "Bitte", "Danke", "eins", "zwei", "drei" ... Insgesamt sind wir damit ganz passabel durchgekommen.

Medienwirksamer Start der Tour in Triebel.

Der Aufbruch erfolgt am 12.Mai, Pfingstmontag und Himmelfahrt sparen zwei Urlaubstage. Irgendwie hat jemand der Presse einen Tipp gegeben, so dass wir um 7Uhr auf der Bösenbrunner Straße in Triebel nicht allein sind. Zur allgemeinen Belustigung stellen wir ein paar Fotos - dann machen wir uns auf den Weg. Mit uns sind die Eisheiligen unterwegs. Am Anfang ist alles noch ganz normal, aber irgendwie wird es dann von Stunde zu Stunde und Tag zu Tag kälter. In Ceské Budejovice haben wir morgens Reif auf dem Zelt. Aber der Reihe nach. Ganz grob könnte man die Tour in folgende Abschnitte unterteilen: In Mitteleuropa, Auf dem Balkan, Am Mittelmeer.

In Mitteleuropa (Deutschland - Tschechien - Österreich - Slowakei - Ungarn - Kroatien)

Radfahrerisch gibt es nichts Besonderes zu beachten. Ungarn hat so seine Eigenheit - dazu später. Also, wir starten am Samstag, den 12.Mai, und schon die erste Etappe bietet kulturelle Höhepunkte: Wir durchqueren die böhmische Bäderlandschaft. Františkovy Lázne (Franzensbad), 1793 unter dem Wohlwollen Kaiser Franz II gegründet, und heute ein bedeutsamer Kurort, kommt eher beschaulich und provinziell daher. Wir gönnen uns eine Pause und probieren das Wasser der Franzensquelle.

Die Franzensquelle in Františkovy Lázne.

Es schmeckt eben wie Heilwasser und wir füllen uns lieber nichts davon ab. Dafür ist es aber schön warm im Quellenhaus. Hier könnte man es aushalten. Draußen nähern sich die Temperaturen inzwischen langsam dem einstelligen Bereich. Später kommen wir ins wohl weit bekanntere Mariánské Lázne (Marienbad). Hier "kurten" schon J.W.v.Goethe, Alfred Nobel, Maxim Gorki, Kaiser Franz Joseph I, Zar Nikolaus II, ... Der Kurbereich hat mondänen Charakter, die ehrwürdigen Hotels beeindrucken.

Blick auf den Podhorní Vrch (847m).

Ab Marienbad wird es etwas bergig. Der "Hausmeister" vom Golfhotel schafft gerade in den Außenanlagen. Er spricht etwas deutsch und weist uns auf den in Sichtweite liegenden Podhorní Vrch (847m) hin. Von dort hätte man einen ausgezeichneten Blick ins Land, bis nach Tepla - und man würde mit dem Fahrrad fast bis zum Gipfel kommen. Vor dem Krieg ist man mit Pferdekutschen dorthin gefahren. Aber unser Ziel ist Plzen und die Zeit reicht nicht, worauf er zu unserer Überraschung entgegnet: "Naja, wenn ihr nur Kilometer fressen wollt, dann müsst ihr eben weiterfahren". Wir schauen uns den Podhorní Vrch später von unten an, für das Kloster Tepla nehmen wir uns aber die Zeit.

Das Tor zur Brauerei in Plzen.

In Plzen wollten wir eigentlich ein Bier in der Brauerei trinken, aber dort ist gerade Public Viewing angesagt: Wahrscheinlich das tschechische Pokalendspiel. Das ist uns zu hektisch. Wir nehmen uns das Pilsner Urquell mit auf den Campingplatz. Dort sind wir die Einzigen. Mit dem Platzwart trinken wir einen Schnaps und später unser Bier - aber ein Glühwein wäre wohl passender gewesen.

Das abendliche Bier will bei den kalten Temperaturen nicht so richtig schmecken.

Der nächste Tag führt uns dann in die zweite große tschechische Biermetropole, nach Ceské Budejovice (Budweis). Er beginnt aber erst einmal mit einem fotografischen Highlight. Es gelingt einen Fasan im Flug zu fotografieren. Tja, auch das können Höhepunkte sein. Der Rest des Tages ist weniger "spektakulär".

Flugstudie eines Fasans.

Gegen 17Uhr erreichen wir Ceské Budejovice. Laut Tourplan hätten wir dann noch ca.30km bis Ceský Krumlov zu fahren, aber wir sagen uns: Das Wetter ist schön, die bisherigen 147km reichen eigentlich und wir sollten lieber noch ein Budweiser trinken, zumal wir kilometermässig (bezogen auf den folgenden Tag) auch nichts gewinnen würden. Die letzen Sonnenstrahlen machen es im Freien erträglich - am nächsten Morgen haben wir Reif auf dem Zelt.

Drei Budweiser in gleichnamiger Stadt.

Nach Österreich kommen wir über den Grenzübergang bei Nove Hrady und fahren dann durch das Waldviertel, ein Teil Österreichs, der touristisch wahrscheinlich weniger bekannt ist. Sanfte Hügel, viel Wald. Auf der LH71 geht es über Weitra nach Zwettl. Das Stadtzentrum liegt am Hang. Als wir unsere Fahrräder abstellen, werden wir schon von einem - wahrscheinlich "stadtbekannten" - Bürger begrüßt und gleich mal gefragt, ob wir denn auch eine Jause dabei hätten. Haben wir natürlich und teilen sogleich alles durch 4. Das erfreut unsere Bekanntschaft, und er wird immer redseeliger. Leider verstehen wir auf Grund des Dialekts nur die Hälfte, aber das reicht vollkommen. Er berichtet uns wie er sich so durchs Leben schlägt und u.a. auch, dass es in Zwettl eine ganze Menge geschiedener Frauen gibt. :-) Irgendwann ist aber alles aufgegessen und wir sind ganz froh, dass wir wieder weiterfahren können. ;-)

Von Zwettl nach Krems an der Donau sollte es laut Plan eigentlich immer die B37 entlang gehen. Aber der Navigator hat sich wieder mehr Gedanken gemacht. Nach einer etwas mißglückten Einlage über Burg Rastenberg (für alle die, die mal eine richtige Steigung fahren wollen) geht es ab Lichtenau im Waldviertel immer nur bergab und dann weiter entlang der Krems bis zur Donau. Das ist eine sehr empfehlenswerte Route. Wir sind gut vorangekommen und probieren in Furth-Palt im Gasthof Hofbauer den Grünen Veltliner vom letzten Jahr. Der Rest des Tages ist Donauradweg.

Einfahrt in Wien auf dem Donauradweg.

Wien darf natürlich im Bericht nicht fehlen. Wir gönnen uns die Zeit für eine Umfahrung des inneren Bezirks, vorbei an den Prachtbauten und Sehenswürdigkeiten aus der Kaiserzeit. Auf der Route weiter nach Bratislava stellt sich die Frage: rechts oder links der Donau. Wir wählen links und fahren auf dem Hubertusdamm kilometerweit durch den Nationalpark Donau-Auen bis Hainburg. Diesen Nationalpark gibt es seit 1996. Er ist in erster Linie ein Ergebnis von Bürgerprotesten Anfang der 1980er Jahre gegen den damals geplanten Bau des Donau-Laufwasserkraftwerkes Hainburg.

Auf dem Hubertusdamm in Richtung Bratislava.

Auch wenn man auf dem Radweg sicher keine seltenen Tiere erwarten kann, die Pflanzenwelt ist allemal interessant. Es lohnt sich einmal anzuhalten und zu schauen, was denn alles so wächst. Deshalb ist im Nachhinein die Empfehlung: Wer auf dem Donauradweg von Wien nach Bratislava fährt und etwas für die Natur übrig hat, dem sei geraten, sich links der Donau zuhalten.

Ein Exemplar der Gattung Polygonatum Odoratum.

In Bratislava sollte eigentlich die Burg erklommen werden, aber wir haben technische Probleme: Ein Pedal droht sich zu verabschieden. Damit steht die Suche nach einem Fahrradladen an oberster Stelle, und danach müssen wir langsam sehen, dass wir nach Ungarn kommen. Wir erreichen Lipot mit Einbruch der Dunkelheit. Ein verträumter kleiner Campingplatz, den man auch als Ausgangspunkt für Bootstouren nutzen kann. Aber man spart am Personal, und so ist auch am nächsten Morgen niemand erreichbar, so dass wir wohl oder übel ohne zu bezahlen weiterfahren müssen (es war nicht das einzige Mal bei dieser Tour).

In Ungarn leider keine Seltenheit: die Straße ist für Radfahrer gesperrt.

Für uns ist die erste größere Stadt in Ungarn Györ. Und da wird es so langsam offenkundig: Man liebt die Radfahrer nicht. Man versucht sie möglichst von der Straße zu verbannen mit den Schildern die "Gesperrt für Traktoren, Pferdefuhrwerke und Fahrräder" anzeigen. Nun ist das ja evtl. zu akzeptieren, wenn man eine Alternative hat. Aber die gibt es nicht immer. Nach anfänglichem Zögern haben wir uns aber dann irgendwann keine Gedanken mehr gemacht - und anscheinend stört es auch niemanden, wenn man sich nicht daran hält.

Ein historisch wichtiger Campingplatz in Alsóörs.

Unsere Route führt über den Balaton. Hier haben wir eine Menge Erinnerungen aus "alten" Zeiten. In den 1970er Jahren waren wir hier zweimal mit dem Zelt - in Alsóörs, am Nordufer. Wir schauen mal nach unserem alten Campingplatz - den es tatsächlich noch gibt, und der heute "Riviera Camping" heißt, und nach dem Étterem.

Bei Tihany setzen wir mit der Fähre an das Südufer über. Interessant: An der Fährstation gibt es einen Automaten zum "Aus der Hand lesen". :-) Aber wir haben es dann doch nicht ausprobiert - auf Prophezeiungen sollte man sich beim Radfahren besser nicht verlassen. Im Laufe des Tages hat der Wind von Norden weiter aufgefrischt. Der Pförtner am Campingplatz in Siófok sagt uns, dass für die Nacht am Balaton 100km/h als Windspitzen angekündigt sind. Daraufhin gehen wir mit unseren Zelten hinter den Wirtschaftgebäuden in Deckung. Ganz so schlimm kommt es dann wohl doch nicht. Aber am nächsten Morgen haben wir noch immer eine steife Brise aus Nord, die auch den Tag über noch anhält und uns mit Leichtigkeit bis Pécs trägt. Das wiederum hat zur Folge, dass wir (trotz eines weiteren Pedalwechsels) zu zeitig sind.

Im Zentrum von Pécs.

Eigentlich wollten wir uns in Pecs mit Freunden des Navigators treffen - aber der eine ist noch auf Arbeit in Budapest und die anderen sind mit ihrem Auto gerade mal in Siófok. Da es aber heute so gut läuft, und die morgige Kroatien-Etappe etwas länglich ist, beschließen wir, weiter bis Harkány zu fahren. Wir trinken einen Espresso auf dem wunderbaren zentralen Platz, der nach Süden hin abfällt, genießen die beeindruckende Architektur und schreiben eine Botschaft an die verfehlten Freunde, die wir dann am Hintereingang der Moschee unter den Steinen verstecken.

Und dann gibt es noch ein AHA-Erlebnis: Ganz ohne es vorher zu wissen, müssen wir nördlich von Harkány den Tenkesberg "überqueren". Moment mal, da war doch was, das kommt uns doch bekannt vor? Es gab in der 1960er Jahren im DDR-Fernsehen die Serie "Der Kapitän vom Tenkesberg" (eine Produktion des ungarischen Fernsehens) - was uns damals äußerst gut gefallen hat. Dank Internet ist natürlich auch heute alles noch verfügbar. Das wurde damals (1963) hier, gleich um die Ecke, in der Umgebung der Burg Siklós gedreht.

Die Kirche Peter und Paul im kroatischen Osijek.

Die Kroatien-Etappe ist mehr oder weniger eine Transit-Etappe. Wir fahren parallel zur Drava (Drau) bis Osijek, der größten kroatischen Stadt auf unserer Route. Im Stadtzentrum steht die Kirche Peter und Paul als imposantes Bauwerk.

Wir haben Freitag, aber es ist Volksfeststimmung (das war uns schon in Valpovo aufgefallen). Vor allem Jugendliche sind unterwegs und sorgen für "action". Wie sich dann herausstellt, ist heute der letzte Schultag. Insgesamt machen die Orte entlang unserer Route einen recht gepflegten Eindruck, teilweise sieht man noch Spuren des Kroatien-Krieges als Einschüsse in den Hausmauern. Bei der Schlacht um Vukovar, 1991, wurde die Stadt fast vollständig zerstört. Große Freiflächen zeugen noch heute davon, vieles ist noch Baustelle. Der Wasserturm präsentiert sich im zerstörten Zustand und dient wohl der Mahnung für künftige Generationen.

Der zerstörte Wasserturm in Vukovar.

Wir sind inzwischen wieder an der Donau angekommen, die wir bei Ilok überqueren und damit in Backa Palanka (Serbien) sind. Relativ spät dran, müssen wir uns noch um eine Unterkunft kümmern - Campingplatz ist hier Fehlanzeige. Im Internet hatten wir uns ein Hostel ausgespät, dass wir auch tatsächlich finden - aber leider ist alles verschlossen. Wir hätten eher da sein müssen. Gleich um die Ecke ist ein Mini-Tourismusbüro, vielleicht 2 mal 3 qm. Die gute Frau ist gerade beim Zuschließen, als wir hereinschneien und nach einer Unterkunft fragen. Und dann schließt sie tatsächlich wieder auf und fängt an zu telefonieren und vielleicht eine Viertelstunde später holt man uns ab und schließt uns das Hostel auf. Das hätten wir so nicht erwartet. Und dann dauert es noch eine ganze Weile bis die Diensthabende, die man wahrscheinlich zu Hause vom Abendbrottisch weggeholt hat, ganz akribisch alle unsere Personalien aufnimmt - auch das war einzigartig während der gesamten Tour.

Auf dem Balkan (Serbien - Rumänien - Bulgarien)

Jetzt beginnt der eigentlich spannende Teil. Lagen die bisherigen Länder noch in etwa im Erfahrungsbereich und man hatte irgendwelche Vorstellungen, so sah es mit Serbien, Rumänien und Bulgarien schon schlechter aus. Bulgarien war zu DDR Zeiten zwar auch ein gefragtes Urlaubsland - aber davon, was sich in den letzten 20 Jahren getan hat, davon hatte niemand von uns eine konkrete Ahnung. Man könnte jetzt - nach der Tour - zu dem Schluss kommen "Früher sah das alles einmal besser aus", aber vielleicht trügt hier auch die Erinnerung etwas? Unser Eindruck war: Es wurde einiges begonnen, manches nicht beendet - aber es bewegt sich noch etwas.

Die Etappe von Backa Palanka nach Požarevac ist mit 185km veranschlagt und das mit Stadtdurchfahrt Belgrad plus anschließendem mittelschweren Profil. Der Navigator macht den Vorschlag zwischen Novi Sad und Belgrad doch mal den Zug zu nehmen. Das sind ungefähr 75km. Auch die Veteranen sehen das als "vertretbar" an und können sich mit der Idee anfreunden. Allerdings beginnt die Etappe mit einem ziemlichen Schreck. Während der Einfahrt nach Novi Sad: "Was war denn das? Da war doch kein Gullydeckel drauf". Das schockt schon etwas, und man ist mit einem Schlag hellwach. Man hat ja schon von solchen Sachen gehört, vielleicht irgendwo weit draußen, aber für eine Hauptstraße, die in eine Großstadt führt, ist das schon hart. Es sollte nicht das einzige Mal bleiben, in Rumänien und Bulgarien haben wir ähnliches gesehen. Ab sofort empfiehlt es sich, immer einen gewissen Abstand zum Straßenrand einzuhalten und vor allem nicht zu dicht hintereinander zu fahren.

Ankunft auf einem Bahnsteig in Belgrad.

Serbien mit der Bahn: Schaut man sich die Karte an, so könnte man zu dem Schluß kommen Novi Sad - Belgrad ist d i e Zugverbindung in Serbien schlechthin. Die Züge fahren ungefähr im Abstand von 2 Stunden. Die Lok kommt mit drei Waggons, Fahrradabteil oder Gepäckwagen gibt es nicht. Also nehmen wir die letzte Tür. 2 Fahrräder vor der Toilette, das dritte im Gang neben den Abteilen. Damit blockieren wir zwar einiges, aber man nimmt es uns nicht krumm. Der Schaffner, der öfter mal vorbei kommt, hat auch noch ein Lächeln für uns und betont immer wieder "That's ok". Insofern können wir bezgl. Zugfahren in Serbien nichts Schlechtes sagen - außer, dass man halt nicht auf Fahrräder eingerichtet ist. Zu erwähnen wäre allerdings die Einfahrt in Belgrad Hauptbahnhof. Das war schon etwas deprimierend. Die letzten Kilometer nahezu in Schrittgeschwindigkeit und mit jämmerlichem Geächze, weil die Schienen in einem erbärmlichen Zustand sind. Hier wurde mit Sicherheit in den letzten 20 Jahren nichts investiert.

Spuren des Krieges im Stadtzentrum von Belgrad.

Auch in Belgrad sind noch die Spuren des Krieges zu sehen. Und das mitten im Stadtzentrum. Es scheint als wollte man sagen: "Schaut her, was die NATO angerichtet hat". Aber wir halten uns nicht weiter auf. Im "Smalltalk" an der Ampel fragt uns ein Rennradfahrer etwas aus. Dass wir nach Požarevac wollen, gefällt ihm - und dann durchs "Eiserne Tor" sowieso. Er prophezeit zwei große Anstiege - aber dann wäre es geschafft. Und genauso kommt es auch. Und in Požarevac haben wir echt Glück! Das vorgesehene Hostel ist voll belegt, aber man gibt uns den Tipp, dass es einige Straßen weiter das "Restoran Konak" gibt. Und hier sind wir echt überrascht. Der Junior Chef kümmert sich persönlich um uns, in sehr gutem Deutsch - er hat wohl in Österreich studiert. Überhaupt stehen einige Wiener Nummern im Hinterhof. Also wer nach Požarevac kommt, der sollte gleich ins "Restoran Konak" gehen.

Public Viewing im Hotelgarten: das Champions-League-Finale zwischen Bayern München und FC Chelsea.

Und dann ist ja heute noch Championleague Finale: Bayern München gegen Chelsea London. Das gibt es auf der Videowand im Innenhof. Bei einem Jelen (die wahrscheinlich bekannteste serbische Biermarke) fühlt man sich fast wie zu Hause. Die Verlängerung sehen wir aber dann doch vom Bett aus - stückweise, wenn die Augen gerade mal wieder offen sind. Den Ausgang des Elfmeterschießens muss man hier nicht noch einmal erwähnen. :-) Im Laufe der restlichen Tour begegnet uns das Championsleague-Finale dann immer und immer wieder, und durchweg - ob in Bulgarien, Griechenland oder der Türkei - waren es immer Bayern-Anhänger. Im Ausland scheint es davon mehr zu geben als in Deutschland.

Einer der Höhepunkte der Tour ist die Passage des "Eisernen Tors", so wird der ca. 100km lange Durchbruch der Donau durch die Karpaten genannt. Bis zur Inbetriebnahme des Kraftwerkes Eisernes Tor 1 im Jahre 1972 galt dieser Abschnitt als gefährlichster Flußabschnitt der Donau und durfte nur mit einem Lotsen passiert werden. Das klingt etwas spektakulär - ist aber heute nicht mehr so. Die Donau schlängelt sich zwischen Golubac und Orsowa in einem meist relativ breiten Tal durch die Berge. Sie ist gleichzeitig Grenze zwischen Serbien und Rumänien und auf beiden Seiten verlaufen gut ausgebaute Strassen. Trotzdem ist die Landschaft natürlich beeindruckend.

Eine Burg am Eingang zum Donaudurchbruch Eisernes Tor.

Wir fahren auf der serbischen Seite. Gleich hinter Golubac trifft man auf eine Burg aus dem 13.Jahrhundert, die wahrscheinlich von den Ungarn gebaut wurde und wie ein Wächter den Zugang zum Eisernen Tor kontrolliert. In unregelmässigen Abständen kommen (zumeist kurze) Tunnel, die schön durchnummeriert sind, und nach dem T1 hat man die Karpaten hinter sich. Man sollte schon Licht dabei haben, denn die Tunnel sind generell unbeleuchtet und die längeren mit bis zu 350m und kurvigem Verlauf sind nicht ungefährlich. Die schmalste Stelle des Durchbruchs kommt vor Orsowa. Bei einer Breite von 200m ist die Donau hier ca. 80m tief.

Die schmalste Stelle des Eisernen Tors bei Orsowa.

Von serbischer Seite aus hat man hier einen hervorragenden Ausblick. Auf einem Park-/Aussichtsplatz treffen wir ein Pärchen aus Köln. Sie sind mit dem Tandem-Liegerad auf Europa-Tour und kommen gerade aus Istanbul (sind aber dann über Rumänien gefahren). Wir bestaunen ihr Gefährt und zweifeln etwas, ob man damit denn durch die Berge kommt. Aber sie versichern uns, dass das kein Problem sei.

Auf dem Weg von Istanbul nach Köln...

Wir diskutieren noch etwas über das "Woher" und "Wohin", tauschen noch ein paar Brezeln gegen Rum-Schoko-Riegel und wünschen uns gegenseitig eine gute Weiterfahrt.

Rumänien wird eine weitere Transitetappe. Wir überqueren die Donau auf der Staumauer des Kraftwerkes Eisernes Tor 1, bei Novi Sip, und kommen durch Drobeta. In den Jahren 102 bis 105 bauten hier die Römer eine Brücke über die Donau. Davon ist heute nichts mehr zu sehen, es soll aber wohl noch Reste von Fundamenten unter Wasser geben.

Das Donau-Wasserkraftwerk Eisernes Tor I.

Dann geht es ins Hinterland. Und hier wird offensichtlich, dass zwischen Serbien und Rumänien doch noch mal ein gewisser Unterschied besteht. Ein Großteil der Landwirtschaft basiert noch auf einfachster Technik. Pferdefuhrwerke auf der Straße sind Normalität. Vieles in den Dörfern dient wahrscheinlich in erster Linie der Eigenversorgung. Gänse und Truthühner werden an der Dorfstrasse gehütet. So manche Straße ist in einem schlimmen Zustand. Überhaupt sitzen viele, meist ältere Leute, vor dem Haus und "überwachen" was so passiert. Da fallen ein paar exotische Radfahrer schon auf. Meist sind es dann die Kinder, die uns zujubeln - aber auch nach Zigaretten und Geld fragen. Und dann sind da die Frauen im "reiferen" Alter, die zu begeistern sind. :-) In Cetate werden wir von einer Gruppe von ihnen regelrecht "gestoppt". Eine ist gerade (wahrscheinlich wieder einmal) Großmutter geworden und man feiert das an der Straße.

Mittendrin: Eine spontane Familienzuwachsfeier an der Straße.

Man reicht uns Gebäck und jedem einen Becher Wein aus der 2L Plastikflasche. Dann müssen wir noch eine rumänische Spezialität probieren - den Namen können wir uns leider nicht merken - aber es schmeckt super. Siehe Bild unten.

Als exotische Radfahrer werden wir sofort zu Speis und Trank eingeladen.

Wir wissen das zu schätzen und sind voll des Lobes, was auf der Gegenseite natürlich Entzücken hervorruft. Das steigert sich dann bis zu gegenseitigen Umarmungen. Aber wir müssen weiter. Als Marschverpflegung steckt man uns noch ein paar gekochte Eier in die Lenkertasche. Das war schon eine kuriose Begegnung und ist sicher nicht der Normalfall - der Wein hatte hier wohl gute Vorarbeit geleistet. ;-)

Bei Calafat setzen wir mit der Fähre nach Vidin (Bulgarien) über. Mit von der Partie sind eine Menge LKWs. Eine Brücke befindet sich aber bereits im Bau. Zum Abendbrot gibt es dann Eier aus Rumänien - garantiert Bio!

Bau der Donaubrücke bei Vidin.

Will man von Vidin nach Sofia, so muss man das Stara Planina Gebirge (Balkan Gebirge) überqueren. Es erstreckt sich von Serbien bis zum Schwarzen Meer. Der höchste Berg ist der Botew mit 2376m. Der kürzeste Weg führt über den Petrohan Pass, der mit 1446m Höhe in der Karte steht.

Man kommt in Dobri Dol vorbei. Dort gibt es ein Motel, deren Inhaberin etwas deutsch spricht. Ihr Sohn ist sogar in Deutschland geboren. Inzwischen schon etwas vorsichtig geworden, was den Straßenzustand anbelangt, erkundigen wir uns nach der besten Route bis Montana, und man rät uns, den Weg über Lom zu nehmen. Das ist zwar ca. 20km länger, aber zwischen Lom und Montana wurde die Straße komplett erneuert. Und so ist es dann auch. Statt von Nordwesten kommen wir von Norden und haben dadurch gleich ein zweites Mal Glück, denn von Westen kommen schwere Gewitter. So können wir uns noch bis Montana retten.

Das Gewitter holt uns ein als wir Montana erreichen.

Wir sind am Fuße des Balkan-Gebirges angelangt. Auf der regennassen Straße nach Berkovitsa geht es leicht aber stetig bergan. Ein Wartburg überholt uns, hält danach an, und man grüßt uns. Wir grüssen zurück, fahren aber weiter. Vielleicht hätte man doch mal stoppen sollen? Also kommen wir zum Stillstand. Der Wartburg kommt wieder und hält erneut. Es ist Kolja aus Borovtsi, dem nächsten Dorf, vielleicht um die 50. Er ist Trainer im Radsport-Club von Montana.

Begegnung mit Kolja, einem Trainer des Radsport-Clubs Montana.

Als er erfährt, dass wir aus Ostdeutschland sind, zeigt er gleich auf seinen Wartburg - und wir müssen alle lachen. Er schwärmt dann vom Stara Planina Gebirge. 2003 hatten sie im Club eine Radtour (5 Erwachsene und 20 Kinder) über den Kamm bis zum Schwarzen Meer gemacht. Es muß mächtig anstrengend gewesen sein. Wir klickern eine Menge Fotos auf seinem Handy durch. Dann fragen wir, ob man in Ashyklar (das ist ein Tourismuskomplex oberhalb von Berkovitsa, allerdings sind die Eintragungen im Internet schon verdächtig alt) übernachten kann. Er ist sich nicht sicher, will aber nochmal nachfragen. Wir sollen beim nächsten Dorf an der Abfahrt nochmal halten - er will sich zwischenzeitlich erkundigen. Wir machen es so, und er meint, es ist möglich. Naja, es stimmt f a s t. In Ashyklar ist der Schlagbaum zwar offen, und es gibt auch jemanden vor Ort, der die Stellung hält - ein auf den ersten Blick etwas mürrisch erscheinender Alter zusammen mit seinem Hund. Aber ansonsten ist der ganze Tourismuskomplex "außer Betrieb". Allerdings könnten wir unsere Zelte aufschlagen. Die Duschen sind leider kaputt, aber es läuft Wasser im Freien. Wir stimmen zu und fragen nach dem Preis, worauf er 20 Lewa pro Person kassiert. Das erscheint uns schon etwas viel für den nichtvorhandenen Service. Aber wir bezahlen ohne zu Murren. Irgendwann bekommt er aber dann wohl doch ein schlechtes Gewissen, schließt uns den Unterkunfts-Track auf und stellt uns eine Dusche an. Später trinken wir noch einen Schluck Wein zusammen - dann kommt der Regen.

Frühstück im Trockenen nach einer Nacht voll Regen.

Der hält die Nacht hindurch an und auch am Morgen hat sich die Lage nicht verändert. Wir packen schon mal zusammen und deponieren alles im "Restaurant". Der "Verwalter" ist auch schon wieder im Amt und macht uns einen Kaffee. Auch wenn es bis Sofia heute nur knapp 90km sein sollen, können wir nicht zu lange abwarten, zumal die Etappe sofort mit 1000 Höhenmetern beginnt. Es regnet mal mehr und mal weniger - wir brechen auf. Hoch zum Petrohan fährt man immer im Wald. Auf halber Höhe gibt es eine Gelegenheit für einen Kaffee. Doch der Navigator ist schon wieder einmal außer Sichtweite. So fahren auch wir weiter - alles in der Hoffnung, dass oben ein schönes Restaurant zum Mittagessen einlädt.

Trübe Aussicht auf dem Petrohan-Pass.

Das gibt es auch, aber die Zeiten, dass es geöffnet war, sind anscheinend schon lange vorbei. Immerhin gibt es eine Einkehrmöglichkeit mit warmen Getränken und Süßigkeiten. Wir müssen uns erst einmal etwas trocknen und aufwärmen. Ein Paßschild sucht man hier oben vergeblich. Die Umgebung kann man nur erahnen. Nach dem 3. Tee ziehen wir alles Verfügbare an und machen uns an die Abfahrt. In der Absicht, weitere Höhenmeter zu sparen, schlägt uns der Navigator eine Route über Brakjovci vor, bei der es immer im Tal entlang gehen soll.

Auch schlechte Wege führen nach Sofia.

Das geht auch eine Zeit lang gut, doch dann wird aus der inzwischen schmalen Straße ein unbefestigter und wirklich schlechter Weg. Bis zum nächsten Ort sind es 7 km. Wehe, wenn jetzt etwas kaputt geht! Aber es geht nichts kaputt und wir kommen durch. Doch die nächste "Pleite" lässt nicht lange auf sich warten. In Svoge sind wir am Iskar angelangt und müssen zur Verwunderung feststellen, dass wir Richtung Sofia flußaufwärts fahren müssen - und zwischen Fluß und Straße ist der Höhenunterschied oft beträchtlich.

Die Hauptstadt Bulgariens in Sichtweite.

Zumindest der Regen hört irgendwann auf. Aber riesige Pfützen, die oft die gesamte Straße einnehmen, verursachen manchmal ein etwas mulmiges Gefühl. Irgendwann kommt dann Sofia in Sicht. Aus den geplanten 88km sind 112km geworden.

Der Wetterbericht verheißt nichts Gutes. Wir müssen sehen, dass wir weiter nach Süden kommen und so verläuft zum Glück auch unsere geplante Route.

Die Struma fließt in Richtung Griechenland.

Obwohl die Strecke Sofia - Sandanski auf der Karte ziemlich gefährlich aussieht was Berge anbelangt, ist es doch nicht so. Ab Dupnitsa geht es immer nur noch leicht bergab. Imposant ist der Anblick des Rila Gebirges, welches wir linkerhand tangieren. Im Tal der Struma ist Wildwasser-Rafting angesagt. Da der geplante Schwenk nach Mazedonien gestrichen ist, bleiben wir auf Kurs Süd und überqueren bei Kulata die Grenze nach Griechenland.

Am Mittelmeer (Griechenland und Türkei)

Durch die Ebene in Nord-Griechenland.

Die Straßen werden wieder besser. Die Struma heißt hier Strimonas und windet sich behäbig durch die Ebene. Unser geplantes Ziel ist Asprovalta an der Agäis. Doch in Therma biegen wir nach Osten ab und ersparen uns das Kerdilion Gebirge. Damit haben wir auch für den nächsten Tag schon 20km gewonnen. Kurz vor der Mündung überqueren wir noch einmal den Strimonas. Dann steht der Löwe von Amfipoli vor uns.

Der Löwe von Amfipoli.

Mehr als 2000 Jahre ist er alt und war vermutlich Bestandteil des Grabmals für Laomedon von Lesbos, einem General unter Alexander dem Großen. Die Statue wurde während des Balkan Krieges (1912/13) von griechischen Soldaten entdeckt und ausgegraben. Das beeindruckt schon. Im Maul des Löwen brüten die Dohlen.

Wir halten uns jetzt entlang der Küste, da man hier wohl am ehesten einen Campingplatz finden wird. In Paralia Ofryniou werden wir von Michael gestoppt, der hier ein Restaurant unterhält und uns "zwingt", einen Kaffee zu trinken. Zu dem Kaffee kommen dann noch ein paar Häppchen und eine Runde Tsipouro.

Michael lädt uns auf einen Kaffee ein.

Mit der nächsten Runde kommen wir dann zu Angela Merkel, zu Schäuble, Sarkoczy und denen in Athen. Wir erwarten schon das Schlimmste - aber so ist es gar nicht. Man hat Verständnis für die deutsche Politik und hackt vorwiegend auf den eigenen Leuten in Athen herum. Dann kommt noch Georg vorbei. Er hat in den 1960/70er Jahren lange in Deutschland, im Ruhrgebiet, gearbeitet und bekommt heute von Deutschland deswegen eine Rente gezahlt. Auch er sieht das so. Sicher, unsere Unterhaltung ist etwas beschränkt und hat eher Stammtischniveau - aber wie auch immer. Wir trinken am Ende weder auf die Deutschen, noch auf die Griechen, sondern darauf, dass wir alle gesund bleiben. Nicht weit von Michaels Restaurant finden wir dann auch eine Unterkunft. Man verlangt pro Person 10Euro. Als der Hausherr erfährt, dass wir aus Deutschland kommen, fällt sofort wieder der Name "Angela Merkel" und mit einem Augenzwinkern: "Da hätte ich doch 50 Euro verlangen müssen".

Blick auf das Mittelmeer bei Kavala.

Wir bleiben am Meer. Die Fernstraße Nr.2 ist relativ wenig befahren. Richtung Südwesten ist der gewaltige Berg Athos (2032m) der gleichnamigen Mönchsrepublik zu sehen. Richtung Südosten liegt die Insel Thassos vor uns. Direkt am Weg ist der Tower von Appolonia. Unterhalb, am Strand, scheint es einen wilden Campingplatz zu geben. Bei Nea Peramos verlassen wir die 2 und fahren dann durch die Küstenorte. Beeindruckend von der Silhouette ist Kavala, bereits im 7.Jhd. v.Chr. als Neapolis gegründet.

Der Regen hat die Flüsse anschwellen lassen. Wie kommen wir hier rüber?

Sonntagmorgen in Fanari: Die Nacht über hat es wieder geregnet und es will nicht so recht hell werden. Wir fahren weiter Richtung Osten durch relativ dünn besiedeltes Gebiet. Vor Imeros trauen wir unseren Augen nicht. Die Straße führt direkt durch den Fluß. Wahrscheinlich ist der Filiouris unter "normalen" Bedingungen einfach passierbar. Aber durch die nächtlichen Gewitter ist der Pegel stark angestiegen. Wir testen mal - aber das ist aussichtslos, die Strömung ist für uns zu stark. Auch Schieben ist nicht möglich. Zu allem Unglück sind wir unseren Karten nach gerade im Niemandsland. Auf unserer Griechenlandkarte Massstab 1:300000 (RV Verlag) hat man diese Ecke einfach weggelassen und auf der Türkeikarte ist sie noch nicht zu sehen - wir fahren heute nach einem groben GoogleMaps-Ausduck. Insofern wird der Umweg wohl beträchtlich werden.

Ein Pickup erlöst uns und setzt uns trocken über.

Plötzlich kommt, wie vom Himmel geschickt, von der gegenüberliegenden Seite ein Pick-Up. Er hat das nötige Gewicht und traut sich durch das Wasser. Der Fahrer gibt uns sofort ein Zeichen, dass wir uns fertig machen sollen zum "Aufladen". Es dauert keine 10 Minuten und wir sind auf der anderen Seite. Er wünscht uns gute Fahrt, sagt aber vorher noch, dass er sich geärgert hat, dass Bayern München das ChampionsLeague-Finale verloren hat.

Die alte und neue Fernverkehrsstraße 2.

Bei Mesti stoßen wir wieder an die Fernverkehrsstraße 2, die jetzt Richtung Alexandroupoli führt. Parallel hierzu gibt es inzwischen eine Autobahn, was zur Folge hat, dass Verkehr auf der 2 eigentlich nicht mehr stattfindet. Wir fahren auf dem wohl breitesten jemals gesehenen "Radweg", der zudem in vorbildlichem Zustand ist. Aber nicht nur Fernstraße 2 und Autobahn verlaufen parallel, sondern auch die Via Egnatia, die berühmte römischen "Hauptstraße" Richtung Persien, benannt nach Gnaeus Egnatius, Prokonsul von Makedonien.

Die Via Egnatia war die römische Hauptstraße in Richtung Persien.

Es gibt immer wieder touristische Hinweisschilder auf nahegelegene Überbleibsel, und man hat schon ein erhabenes Gefühl, wenn man bedenkt, dass vor ca. 2000 Jahren hier die Römer entlang marschiert sind.

Von Alexandroupoli bis zur türkischen Grenze sind es noch ca. 40 km. Die letzten 10 km muß man die Autobahn nehmen, es gibt keine Alternative. Aber der Verkehr ist gering, wahrscheinlich wird von den LKWs meist der weiter nördliche Übergang bei Edirne genutzt. Es fällt auf, dass auf türkischer Seite die Grenzanlagen riesig sind. Man wird vier mal kontrolliert. Es hat den Anschein, als ob der letzte nur dazu da ist, zu prüfen, ob der erste auch einen Stempel in den Pass gemacht hat. Der Grenzverlauf folgt dem Fluß Evros. Wasser ist reichlich vorhanden. Auf türkischer Seite wird Reis angebaut.

Ankunft in der Türkei: Nur noch 230 Kilometer bis Istanbul.

Dann geht es auf einer riesigen zweispurigen Straße bis Kesan (das sind knapp 30 km) fast stetig geradeaus - aber immer nur entweder bergab oder bergauf. Die letzte Tankstelle vor Kesan bietet eine Gelegenheit zum Übernachten. Das kommt uns gelegen und wir schlagen zu.

Wir haben Pfingstmontag, Heinz Geier (67, Tirschendorf), unser Rückholservice, ist inzwischen auch schon aufgebrochen und ist schon kurz vor Bulgarien. Wir wollen uns am Mittwoch auf dem Campingplatz in Kilyos, am Schwarzen Meer, treffen. Aber noch haben wir 2 Etappen vor uns. Es scheint ein Regentag zu werden. Nach 20km, in Malkara, sind wir das erste Mal durchgeweicht, das zweite Mal dann in Tekirdag. Aber wir sind jetzt wieder am Meer. Es wird wieder flach und der Himmel hat allmählich ein Einsehen. Unsere letzte Station vor Istanbul ist Silivri. Ursprünglich hatten wir geplant, von hier quer durchs Binnenland nach Kilyos zu fahren und von dort am Folgetag, dann ohne Gepäck, nach Istanbul. Aber wir haben es uns anders überlegt: Wenn schon, dann müssen wir mit voller Ausrüstung in Istanbul einlaufen und auch nicht über Schleichwege, sondern über die Hauptstrassen.

Je näher Istanbul rückt, umso dichter wird der Verkehr.

Und so machen wir es dann auch. Bei strahlendem Sonnenschein geht es auf der D100 Richtung Istanbul. Es sind alles noch Vororte, aber man hat das Gefühl schon mitten drin zu sein, der Verkehr wird immer dichter, über längere Strecken gibt es schon Parallelstraßen - aber wir bleiben auf der Hauptfahrbahn - schon weil es hier weniger Einmündungen gibt.

Der Fernsehturm von Istanbul.

Im Stadtteil Büyükçekmece fahren wir am 2002 eingeweihten Fernsehturm vorbei und bedauern es im Nachhinein, nicht die Stunde geopfert zu haben und oben gewesen zu sein. Die Aussicht wäre sicher genial gewesen. Als wir uns nach der nächsten Senke wieder einmal nach oben schrauben, liegt rechterhand ein Restaurant. Aber ein schneller Kaffee ist Fehlanzeige. Doch in dem Moment hält hinter uns ein PKW, und alles nimmt wieder seinen Lauf: Woher - wohin - kommt mit, wir laden Euch zu einem Tee ein. Und gleich um die Ecke ist eine recht gediegene Werkstatt, wo man Fahrräder, aber auch Sportboote repariert und sicher auch verkauft.

Einladung zum Tee bei einem großen Radfahrer der älteren Generation.

Der Chef gewährt uns eine Audienz. Er war früher, zu Zeiten von Rudi Altig, ein großer Radfahrer. Auch der Sohn eifert dem Vater nach und hat in der Türkei schon einige Titel geholt. An der Wand hängen Fotos aus alten Zeiten. Das beeindruckt uns schon etwas. Heute unterhält er wohl ein Radteam, bzw. ist der Mannschaftsleiter davon - so genau haben wir das dann doch nicht mitbekommen. Wir trinken einen Tee zusammen und erzählen etwas, wie wir es denn in den letzten 18 Tagen bis hierher geschafft haben. Aber wir müssen weiter - schließlich wartet Istanbul auf uns.

Ziel erreicht: Ankunft im Zentrum von Istanbul.

Bei Avcilar biegen wir ab von der D100 und fahren an der Küste entlang. Damit sind wir dann im ganz normalen Stadtverkehr unterwegs, und es ist eigentlich nichts Besonderes mehr. Wir nähern uns im großen Bogen der Altstadt. Auf die Aufzählung der Sehenswürdigkeiten sei hier verzichtet, das kann jeder Reiseführer besser - uns waren sie dann eigentlich auch egal. Wir begnügen uns mit einem kurzen Abstecher zum Markviertel, machen das "offizielle" Foto auf der Galatabrücke und bestaunen die Silhouette der Altstadt.

Ein Abstecher in den asiatischen Teil würde uns in Zeitnot bringen. Wir fahren stattdessen weiter am Rand des europäischen Kontinents nach Norden und biegen dann irgendwann nach links mit Ziel Kilyos ab. Es gibt noch einmal straffe Anstiege, aber das Ende der Tour ist nah. Heinz ist schon einen Tag vor uns auf dem Campingplatz und hat sich ein Zimmer gemietet. Er nimmt uns in Empfang, und dann läuft die übliche Prozedur. Er hat wieder all das mit, was wir lange nicht gegessen haben und dazu gut gekühltes Sternquell.

Per Auto geht es wieder zurück nach Hause.

Am nächsten Morgen machen wir uns auf den Weg, und in einem Gewaltritt, abgesehen von ein paar Stunden "Schlaf" auf einem Parkplatz in Kroatien (sofern man zu viert in einem PKW schlafen kann) sind wir am darauffolgenden Tag gegen Mittag wieder in Triebel. Heinz hat alles allein gefahren - wie immer - ohne dass jemals bei uns der Verdacht aufgekommen ist, dass er vielleicht müde wäre. Tja, unser Chauffeur ist halt ein Phänomen. ;-) Wie immer - herzlichen Dank an dieser Stelle.

Radfahren in Südosteuropa

"Augen auf!" ist der wichtigste Ratschlag - nicht wegen der anderen Verkehrsteilnehmer, sondern wegen des Straßenzustandes. Freilich gibt es auch supergute Straßen, aber es gibt halt auch viele schlechte. Und das beginnt mit tiefen Schlaglöchern, teilweise abgefrästen und irgendwie dann vergessenen Bauabschnitten und findet seinen Höhepunkt wohl in fehlenden Gullyabdeckungen. Oft hat man ja auch ein paar Äste hineingestellt, oder eben alte Autoreifen, oder sonst etwas Auffälliges - aber manchmal eben auch nicht.

Warnung vor einem Schlagloch in Rumänien.

Deshalb kann man eigentlich nicht groß Windschatten fahren, weil man ganz einfach immer schauen muß, was denn da so kommt. Erstmals ist uns das in Serbien begegnet. In Griechenland war es dann wieder vorbei. Insgesamt sollte man ohnehin nur Straßen 1. und 2. Ordnung benutzen. Es kann durchaus sein, dass sich eine Straße, die auf einer Karte im Massstab 1:500000 normal als Nebenstraße gekennzeichnet ist, sich dann als unbefestigter Weg entpuppt (siehe Sofia-Etappe).

Was den Kontakt zu den "Motorisierten" betrifft, haben wir gute und schlechte Erfahrungen gemacht. Als Radfahrer mit grossem Gepäck wird man schon registriert und i.a. auch zuvorkommend behandelt. Aber irgendwie liebt man auch das Risiko. Und in einigen Situationen, wo wir uns gefragt haben "Was wäre wenn?", wird oft rücksichtslos überholt - aber das ist sicher nicht "radfahrerbezogen", sondern allgemeines Verhalten. Darüber, ob man nun Istanbul mit dem Rad und über die Hauptverkehrswege erobern sollte, kann man streiten. Man muß halt etwas Mut und noch mehr Vertrauen in die anderen mitbringen. Für uns war es zweifellos einer der Höhepunkte, aber das sieht manch einer eventuell anders.

Noch etwas zum "Publikum". Es gab bisher noch keine Tour, wo wir so oft den Arm zum Grüßen heben "mussten". Das gilt bezgl. der anderen Verkehrsteilnehmer und auch bezgl. dem Fußvolk. In Rumänien war es fast eine Art Spießrutenlauf (im positiven Sinn): Im Hinterland spielt sich das Leben auf der Dorfstrasse ab - dort ist das Kino. Natürlich gab es auch manchmal etwas argwöhnische Blicke, aber meist wurde doch freundlich gegrüßt - und manchmal wurden wir auch "bejubelt". Auf jeden Fall ist es nicht verkehrt, das Outfit etwas unscheinbarer zu wählen. Das verringert die Gegensätze und erleichtert sicher die Kontaktaufnahme. Auch die Hilfsbereitschaft ist erwähnenswert. Als wir in Griechenland mit den Fahrrädern vor dem Filiouris stehen, gibt es kein Zögern, der entgegenkommende Pick-Up gibt uns sofort das Zeichen, dass wir aufladen sollen. In der Türkei (vor Tekirdag im stömenden Regen) überholt uns ein Transporter, öffnet sofort die Ladetür und bietet uns an mitzufahren - was wir natürlich, der Radfahrerehre wegen, ablehnen mußten.

Vorsicht Hund!

Ein echtes Problem sind die Hunde. Seit dieser Tour ist uns klar, woher das Sprichwort kommt "Den Letzten beißen die Hunde". So ab Serbien wurde das Problem offensichtlich und je weiter man nach Süden kam, desto zahlreicher und irgendwie auch größer wurden sie. Die Flucht sollte man eigentlich nur wählen, wenn man genau weiß, dass man wirklich schneller ist. Ansonsten ist es sinnvoller sich auf den "Gegenangriff" vorzubereiten. Anschreien und ruckartige Drohungen helfen meistens - kurzfristig - bis der nächste Angriff gestartet wird. Aber irgendwann hat man dann das angestammte Revier verlassen und hat es geschafft - wieder einmal.

Was die Campingplätze angeht, so ist das auch nicht so erfreulich. Abgesehen davon, dass es in vielen Regionen erst gar keine gibt, sind die, die es gibt, eigentlich durchgehend eine Klasse schlechter als das, was man vom westlichen Europa gewöhnt ist. Nun ist das für uns als Radfahrer (es geht ja i.a. immer nur um eine Nacht) nicht so problematisch. Man ist ja schon zufrieden, wenn es denn eine Dusche gibt. Wenn diese dann auch noch warmes Wasser bietet, ist es fast schon perfekt. ;-)

Abschließend noch kurz zu organisatorischen Fragen: Der Personalausweis ist ausreichend. Wer einen Pass hat, bekommt ausserhalb der EU auch einen schönen Stempel hinein. Mit dem Geld ist es etwas chaotisch, aber mit Kreditkarte auch kein Problem. Erwähnenswert ist vielleicht, dass es in der Türkei bis Tekirdag gedauert hat, bis wir einen funktionierenden Bankomaten gefunden haben. Alle anderen vorher waren defekt. In Serbien haben wir dann noch die Erfahrung gemacht, dass beim dritten Mal Geldabheben am selben Tag mit der gleichen Karte, diese gestreikt hat. Das ist vielleicht nachvollziehbar, aber wir hatten ja Alternativen. Zumindest in Gaststätten und Unterkünften hätte man auch immer mit Euro bezahlen können - im Supermarkt wahrscheinlich nicht, aber das haben wir nicht getestet.

Das Fazit

Südosteuropa ist eine Radtour wert: Tolle Landschaft, gastfreundliche Menschen. Etwas ins Grübeln bringen einen vielleicht so manche mißlungene Projekte, die man entlang der Strecke sieht. Man hat etwas begonnen und irgendwie ist es gescheitert. Aber andererseits wird auch viel gewerkelt und es entsteht Neues. Man sollte hier nicht vorschnell urteilen - dazu war der Aufenthalt in den einzelnen Ländern zu kurz. Die Tour war vom Profil her ausgewogen. Die Etappen in Tschechien, Bulgarien und der Türkei kann man durchaus als bergig bezeichnen. Aber diesmal war alles noch in einem vertretbaren Rahmen und ging nicht an die Substanz wie bei der Spanientour. Es lag vielleicht auch am Wetter. Die relativ konstante Nordwestströmung und Maximaltemperaturen leicht über 20 Grad Celsius haben das Radfahren oft leicht gemacht. Und die zwei Regentage kann man auch wegstecken. Gesundheitlich hatten wir diesmal keine Probleme. Materialseitig gab es zweimal Plattfuß zu beklagen, und zweimal brauchten wir neue Pedale (natürlicher Verschleiß - hatte nichts mit der Tour zu tun). Das kann man wohl als normal ansehen. Wir hatten einige schöne (teilweise kuriose) Begegnungen und haben ein paar Anschriften und Email-Adressen mitgebracht, wo wir demnächst nochmal "nachhaken" werden. Insofern waren die knapp 2800km rundum gelungen. Und wenn der Navigator bei den alten Männern auch 2014 wieder mitfahren will, dann ist er hiermit schon mal eingeladen. :-)

Wer jetzt noch Genaueres wissen will, kann sich wie immer an oldi@tour-d-europe.de wenden.

Manfred Rahmig