Alpenumrundung 2018

Die Wahrscheinlichkeit, dass wir es schaffen würden, lag wohl bei etwa 10%. Start und Ziel in Triebel/V. und dann in 22 Fahrtagen rund um die Alpen - das wäre vor 10 Jahren vielleicht realistisch gewesen. Aber inzwischen haben wir die 60 erklommen und automatisch wird man von Jahr zu Jahr etwas langsamer - auch wenn man sich dessen eigentlich gar nicht bewusst wird. Und so ist es dann auch gekommen. In Passau haben wir das Handtuch geworfen. Wir waren schon am dritten Tag mit 80 km im Rückstand und wenn ohnehin eng geplant ist, hat man eigentlich keine Chance das wieder aufzuholen. Natürlich hätten wir die zwei Etappen noch geschafft,aber Passau war von vorn herein als mögliches alternatives Tourziel definiert. Und so hat man den Sonntag noch zum entspannten "Auspendeln" zur Verfügung.

Route

Nach dem Mongolei-Abenteuer 2016, sollte es 2018 wieder durch das zivilisierte Europa gehen. Da wir als Sympathisanten des Straßenradsports noch die zwei großen Tour d'France Klassiker "Alpe d'Huez" und "Col du Galibier" ausstehen haben, wäre eine Tour "Rund um die Alpen" genau das Richtige. Aber wie man es auch dreht und wendet, es wird zeitlich unter der Vorgabe von drei Wochen, eine enge Kiste. Der Vorteil ist, dass man nicht weit weg ist von zu Hause. Sollte man abbrechen müssen oder es halt nicht ganz schaffen, so kann man sich ja jederzeit abholen lassen.

Zur Vorbereitung muss nicht viel gesagt werden. Dank Internet war die Tour relativ schnell zusammengebaut, und es kamen 22 Etappen heraus. Für Alpe d'Huez war ein extra Tag eingeplant. Für Reservetage ist dann kein Platz mehr ... Ruhetage machen ohnehin keinen Sinn, da man nur Gefahr läuft, aus dem Rhythmus zu kommen. ;-) Ansonsten das Übliche: Campingplatz ist die Standardübernachtung und Supermarkt ist die Standardverpflegung. Nun kann man natürlich sagen: Muss man sich das im fortgeschrittenen Alter noch antun? Aber mit dem Zelt ist man halt flexibel und muss sich nicht täglich um notwendige Übernachtungsmöglichkeiten kümmern. Auch ist man morgens eher wieder in der Spur, da man sich an keine Frühstückszeiten halten muss.

Abfahrt

Eigentlich sind wir ja sonst immer schon Anfang Mai gestartet, aber wegen dem Col de Galibier, der in der Regel erst ab Juni befahrbar ist, hatten wir den Start diesmal etwas hinausgeschoben. Am 25.Mai ist es dann soweit. Unsere "treuen Fans" verabschieden uns in Triebel, Bösenbrunner Straße. Die lokale Zeitung ist auch wieder vor Ort und so gibt es sogar wieder eine Würdigung in der Freien Presse vom 29.5.2018.

Kurs Südwest

Die erste Etappe ist eine Wiederholung der Auftakt-Etappe von 2006. Das Ziel ist Wackersdorf im Oberpfälzer Seenland. Es ist erst wenige Tage her, dass die Medien über schwere Unwetterschäden im Vogtland berichtet haben. Triebel hat es zum Glück weitgehend verschont, dafür das nicht weit entfernte Unterhermsgrün um so schlimmer getroffen. Über dem gesamten Tal der Weißen Elster liegt eine Nebelbank, eine Folge der vorangegangen Niederschläge. In der Sonne sieht alles idyllisch aus.

Elstertal

Aber wir müssen nicht dort hinunter, sondern bleiben auf dem Kamm, und nach einem kurzem Abstecher in Tschechien sind wir im Bayrischen Fichtelgebirge. Im Vergleich zu 2006 haben wir schon einige Abweichungen in der Streckenführung. Der steile Anstieg in Arzberg wird diesmal umfahren, und auch sonst halten wir uns etwas mehr an die ausgewiesenen Radwege. Hinter Weiden, am Autobahnkreuz "Oberpfälzer Wald", wird es dann kurios. Hier kommen A93, A6, die Bahnlinie, der Radweg und gleich daneben noch die Naab zusammen - und wir stehen an der geschlossenen Bahnschranke. Was nun?

Schranke

Aber daneben gibt es eine Art "Feuermelder" mit der Aufschrift "Schranke wird auf Anruf geöffnet. Bitte Hebel drücken." Und das funktioniert tatsächlich. Es meldet sich wohl der Fahrdienstleiter, und schon ist die Schranke offen. Wir müssen dann allerdings nochmal zurückrufen und melden, dass wir durch sind, und die Schranke wieder geschlossen werden kann - was nicht lange auf sich warten lässt. Eine schöne Einlage für alle, die auf dem Naab-Radweg zwischen Wernberg und Iffelsdorf unterwegs sind.

Die erste Etappe wird ohne große Probleme gemeistert. Sollten die nächsten zwei genauso glatt verlaufen, so wären wir in Meersburg am Bodensee. Dann wäre wohl der erste kritische Abschnitt der Tour überstanden.
Aber so geht es leider nicht weiter. Das beginnt damit, dass man uns hinter Regensburg nicht auf die B16 lässt. Ich hatte ja damit gerechnet, dass es einen parallelen Radweg gibt - aber Fehlanzeige. Zwangsläufig kommen wir in den Genuss des Donau-Radweges und fahren über Ingolstadt. Im Nachhinein betrachtet, war es ein Gewinn, denn Donauradweg ist allemal schöner als schnöde Bundesstraße. Der Nachteil: Am Ende des Tages fehlen ein paar Kilometer bis zum Ziel. Trotzdem - verlässt man hinter Ingolstadt die Donau und nimmt den Radweg entlang der stillgelegten Bahnlinie nach Weichering, so kommt man später am Kleinen Leitner Weiher vorbei. Heute ist Sonntag und an der Strandgaststätte herrscht Hochbetrieb. Wir haben das heutige Etappenziel ohnehin schon abgeschrieben. Bei einem kühlen Hefeweizen und leckerer Bauernwurst schalten wir ein paar Gänge runter.

Acker

Danach geht es Richtung Südwesten durch Karlshuld und Königsmoos. Die Straße wird plötzlich von Birken gesäumt und der Ackerboden ist tiefschwarz. So sah es oft in Finnland aus. 1790 begann man hier das Donaumoos (ein Moorgebiet) trocken zu legen. Karlshuld wurde 1795 gegründet und nach Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz benannt. Wir stranden schließlich gegen 20 Uhr in Pöttmes und nehmen das örtliche Hotel. Bis zum Campingplatz hätten wir noch gut 25 km vor uns gehabt. Aber die darauffolgende Etappe steht wieder als 180 km-Riemen in der Planung. Da käme die Regenerierung etwas zu kurz. Wir wollen es ja nicht gleich am Anfang übertreiben. ;-)

Ruppaner

Am dritten Tag haben wir dann schon 80km Rückstand und sind voll aus dem Plan. Aber dafür gönnen wir uns jetzt eine schöne Bodensee-Etappe. Fährt man mit der Fähre von Meersburg Richtung Konstanz, so trifft man gleich hinter der Anlegestelle auf ein Hinweisschild zur Brauereigaststätte. Hier wird Ruppaner gebraut und ausgeschenkt, ein Familienbetrieb seit 1795. Unter großem Sonnenschirm mit Blick auf den Bodensee kann man es aushalten.

Später tangieren wir Mainau und umfahren den Untersee. Bei Gundholzen gibt es eine schöne Badestelle. Das kann man als Geheimtipp empfehlen - wir waren fast die Einzigen.

Hydrant

Ich hatte ja die Vorstellung: Rechts vom Rhein ist Deutschland, und links vom Rhein ist die Schweiz. Aber es ist viel komplizierter. Man überquert die EU - Außengrenze, ohne dass man es eigentlich mitbekommt. Man wundert sich über die komischen Hydranten. Da kann doch irgendetwas nicht stimmen. Die Radwegschilder sehen auch anders aus - das kann nicht mehr Deutschland sein. Am Ende des Tages landen wir schliesslich auf dem "Johanni Hof" in Gailingen. Das ist wieder Deutschland. Hier ist alles Bio - selbst das Feierabend-Bier.

Der Rheinfall in Schaffhausen ist natürlich Pflichttermin. Zufällig ergibt sich eine schöne Begegnung mit Melina und Sabina aus dem Nepal - naja, eigentlich kommen sie ja aus Freiburg. Aber das sieht man ihnen nicht an. :-) Auch sprechen sie gut deutsch. Sie sind gerade auf Bodensee-Radtour und haben leider ein anderes Tagesziel.

Rheinfall

Wir machen noch ein paar Fotos zur Erinnerung, tauschen die Email-Adressen und wünschen "Gute Weiterreise". Vielleicht sieht man sich ja auf dem Elbe-Radweg mal wieder.

Bei Koblenz lassen wir Deutschland endgültig hinter uns. Die Schweiz bringt man ja pauschal immer mit hohen Bergen in Verbindung. Das muss aber nicht so sein. Wir folgen der Aare stromaufwärts. Wer mal eine Windhund-Rennbahn sehen will - in Kleindöttingen gibt es eine. Der Radweg führt direkt daran vorbei.

Giebel

Unbedingt sollte man Halt in Aarau machen - aus zwei Gründen: Zum einen ist Aarau die Stadt der bemalten Dachgiebel (auch Ründen genannt). Es soll ca. 70 Stück davon geben. Funktionell hat die Bemalung sicher keine Bedeutung. Es war wohl eher der Zeitgeist des 19 Jahrhunderts, der dies hervorgebracht hat. In der heutigen Zeit des Würfelhustens ist so etwas natürlich undenkbar.

Bus

Der zweite Grund:
Die Busse der Stadtlinien fahren mitten durch die Fussgängerzone, und das alle gefühlten 5 Minuten. Wir sitzen also nichtsahnend in der Altstadt und trinken ein Bier - das Fahrrad haben wir an einen überdimensionalen Blumenkübel angelehnt. Da nähert sich ein Bus, hält 50cm neben unserem Tisch und öffnet die Tür. In bestem Schwizerdütsch: "Sind das Eure Velos dort? Könnt ihr die mal etwas zur Seite fahren. Ich komme da schlecht durch." Machen wir natürlich sofort. Während wir unser Bier trinken, kommen regelmässig weitere Busse - immer so einen knappen Meter neben dem Stuhl vorbei. Das ist beeindruckend. Das gibt es nur in Aarau. :-)

Hans

Und dann treffen wir Hans, seines Zeichens "Hans im Glück". Oder besser: Er trifft uns. Wir sind gerade dabei wieder auf das Rad zu steigen, da werden wir von hinten angesprochen: "Wo kommt ihr her? ... Ah, aus Deuschland. In Rust sind die Gasflaschen explodiert." Wie wissen gar nicht so recht worum es geht, aber Hans erklärt uns alles und lädt uns gleich mal ins Cafe ein. Es wird lustig, denn er scheint jemanden wie uns gesucht zu haben, und wir erfahren seine ganze Lebensgeschichte. Letztendlich scheint er eine Art Lebenskünstler zu sein. Seinen Humor hat er sich jedenfalls bewahrt. Wir haben eine Menge Spaß, egal was man an den Nebentischen von uns denkt. So hätte ich mir einen Schweizer wirklich nicht vorgestellt.

Nun, ein bisschen Schweizer Berge gibt es dann doch noch - aber tatsächlich nur in abgeschwächter Form mit den 872 Metern des Col du Chalet-a-Gobet. Das liegt daran, dass Etappe 6 wieder mit 170 km im Plan stand, wir aber nunmehr gemerkt haben, dass das für uns inzwischen nicht mehr so einfach zu schaffen ist. Also am besten die vorherige Etappe (geplante 121 km) etwas verlängern. Man könnte abkürzen, wenn man von Aarburg auf kürzester Route nach Lausanne fährt. Gesagt, getan. Nach dem besagten Col du Chalet-a-Gobet geht es steil und lange bergab in die Stadt. Lausanne war in der Planung überhaupt nicht vorgesehen. Auf der Karte ist ein Campingplatz eingezeichnet, aber ob das noch stimmt? Wir fragen mal einen jungen Mann am Einkaufszentrum. Er zückt sofort das Smartphone. Ja, hier gibt es einen, aber der ist auf dem Berg. Wir müssten wieder zurück. Aber das wollen wir uns wirklich nicht antun. Also fahren wir stattdessen erst einmal weiter bergab. Sollte es wirklich keinen Zeltplatz geben? So einen richtigen Plan haben wir nicht. Dann beginnt es auch noch zu schütten wie aus Eimern. Es hatte sich schon lange vorher angedeutet. Oberhalb des Friedhofs Bois-de-Vaux stellen wir uns unter einen Baum. So ein bisschen spiele ich mit dem Gedanken, auf dem Friedhof das Zelt aufzubauen. Schöne Stellplätze gibt es genug. Aber er wird 20Uhr abgeschlossen und man wird sicher Ärger bekommen, wenn man entdeckt wird.

Bar

Inzwischen bietet der Baum auch keinen Schutz mehr und wir stellen uns an einem benachbarten Restaurant unter. Schräg gegenüber scheint eine Bar zu sein. Davor sitzt ein älterer Mann und trinkt seinen Wein. Vielleicht sollte ich mal fragen gehen, wo man hier übernachten kann. Wir sind inzwischen in der französischen Schweiz angekommen, und sprachlich wird es etwas problematisch. Man versteht zumindest, dass wir eine Übernachtungsmöglichkeit suchen. Vielleicht geht ja hier etwas. Und dann ist da noch eine - nun ja, sagen wir - nicht unattraktive Dame mittleren Alters. Die übernimmt zusehends die Kommunikation und meint, ich sollte mal mit rein kommen. Drinnen ist es wie im Film. Bei gedämpftem Licht sind hier einige Animierdamen bei der Arbeit. Ob ich denn nicht etwas trinken wollte? Ich lehne vorsichtshalber dankend ab - aber immerhin - warum sollte man nicht hier bleiben, wenn man ein Bett für uns hätte? Die "Nicht Unattraktive" sagt ganz klar: Pro Person 100 Franken. Das ist mir jetzt etwas viel. Ich hätte eher so an die Hälfte gedacht. Ich erhöhe das Angebot auf "Zusammen für 150". Aber sie bleibt hart. Draußen ist das Gewitter im Abklingen. Ich denke, wir fahren vielleicht besser weiter. ;-)

Noch sind wir nicht ganz unten. Es geht wieder am Friedhof vorbei - das große Tor ist inzwischen geschlossen - und plötzlich ein Schild vor uns: "Camping de Vidy". Das ist wirklich ein Riesenzufall. Die Rezeption ist natürlich schon verwaist. Und auch am nächsten Morgen, als wir aufbrechen, ist noch niemand da. Bei den Tageszeitungen leuchtet in großen Lettern: "Zidane quitte le Real Madrid"! Das hat er richtig gemacht, mehr kann man nicht erreichen! Aber wir können nicht länger warten, wir müssen in die Spur. Ich stelle mich nochmal demonstrativ vor die Überwachungskamera und zucke mit den Schultern. Dann fahren wir los.

Genf

Genf ist eine Augenweide. Kommt man von der Nordseite des Genfer Sees, so hat man das Wahrzeichen der Stadt - die etwa 140 Meter hohe Fontäne - genau vor sich. Dahinter die pompösen Bürgerhäuser und dahinter wiederum die Berge. Das ist schon ein grandioser Anblick. Aber wir wollen uns nicht zu lange aufhalten, denn wir wissen nicht so recht, was uns heute noch erwartet. Nach einem Eisbecher neben der Fontäne geht es ins Hinterland. Bei Soral erreichen wir Frankreich und nach einigem Hoch und Runter den Lac du Bourget. In Aix-les-Bains machen wir eine ganz neue Erfahrung: Der Campingplatz ist voll! Das gab es noch nie. Wir sind wie immer etwas spät. In der Regel findet sich stets eine Ecke für zwei kleine Zelte - aber der "Diensthabende" lässt nicht mit sich verhandeln.

Rastplatz

Nun ja, das Wetter ist perfekt heute, und der Radweg führt direkt am See entlang. Warum nicht einfach mal "wild" übernachten. Allerdings ist das alles andere als eine einsame Gegend - wir sind in einem Tourismusgebiet. Laufend sind Spaziergänger, Jogger, Inlineskater und Radler unterwegs. Aber was soll`s? An einer Stelle baut man gerade eine Treppe zwischen der Straße und dem Radweg, die ist bautechnisch etwas abgesperrt. Gleich daneben steht eine Bank, es gibt einen Mülleimer und auf der anderen Straßenseite sogar ein Dixi-Klo. Zudem ist heute Freitag - da wird morgen früh nichts passieren. Wir satteln erst einmal ab, machen es uns auf der Bank bequem und gehen zum gemütlichen Teil über: Abendbrot mit Baguette, großem Camembert, Tomaten und einen schönen trockenen Rotwein - der auch aus der Müsli-Schüssel vorzüglich schmeckt.

Morgens

Wir beobachten den "Verkehr" auf dem Weg vor uns und warten auf den Sonnenuntergang. Die meisten Spaziergänger kommen zweimal vorbei. Man könnte psychologische Studien anstellen. Es ist ja offensichtlich, was wir hier vorhaben, wenn zu fortgeschrittener Stunde zwei vollgepackte Fahrräder herumstehen. Die einen ignorieren uns einfach und blicken beim Vorbeigehen immer auf den See, andere wünschen uns ein freundliches "Bon Appetit". Gegen 22:30 Uhr ist es dann einigermassen dunkel. Das mit dem Zelt lassen wir sein, heute reicht auch der Schlafsack. Mit Sonnenaufgang sind wir wieder in der Spur.

Kurs Ost

Bei Grenoble macht unsere Tour einen scharfen Knick nach links und ab sofort geht es Richtung Osten - aber die Alpen stehen im Weg. In Wirklichkeit ist es natürlich der Teil der Tour, auf den wir uns am meisten gefreut haben. Alpe d' Huez und Col de Galibier - das sind klangvolle Namen, die das Herz jedes Hobby-Radsportlers höher schlagen lassen.

Walnuss

Aber zuerst müssen wir noch bis Grenoble. Ist das am Anfang ziemlich einfach, die D1090 führt ziemlich gerade durch Walnussplantagen. Grenoble ist berühmt für seine Walnüsse. "Noix de Grenoble A.O.C." ist eine geschützte Herkunftsbezeichnung, und genau hier wachsen sie also. Hinter Crolles werden wir dann ein Opfer der Ausschilderung. Der angezeigte Radweg ist ziemlich schlecht beschildert, es geht kreuz und quer. Da kann man im Nachhinein nur raten, unbedingt auf der D1090 bleiben. Irgendwie schaffen wir es aber dann doch, Grenoble in Blickweite zu bekommen. Aber auch im Stadrandgebiet herrscht mehr Verwirrung als Klarheit. Doch dann kommt uns Erik zu Hilfe. Er scheint mit dem Rad gerade auf dem Nachhauseweg zu sein und nimmt uns gleich ins Schlepptau. Kreuz und quer geht es an der Stadt vorbei - insofern: von der Stadt Grenoble haben wir nichts mitbekommen. Ab Vizille wird es dann einfach. Es gibt nur noch eine Straße und die geht langsam aber stetig bergauf.

Alpe d'Huez kann man schlecht "überqueren", da oben Endstation ist und man irgendwie - wenn auch nicht auf den gleichen Weg - wieder zurück muss. Man kommt also auf der gleichen Seite der Berge wieder runter.
Der Zeltplatz liegt etwas nördlich von Bourg de Oisans, dem Ort, wo die 21 Kehren der 1140 Höhenmeter ihren Anfang nehmen. Wir wollen es ruhig angehen und spendieren einen ganzen Tag.

Plakat

Auf dem Campingplatz wimmelt es von Holländern. Und man sagt uns, dass es noch mehr werden, denn am 6./7. Juni findet hier ein großes Ereignis statt. Wir haben die Plakate von "Alpe d' Huzes" schon überall gesehen, wissen aber trotzdem nicht so recht, was es damit für eine Bewandnis hat.
Das klärt sich endgültig erst zu Hause. "Alpe d'Huzes" muss man holländisch interpretieren, und es heisst übersetzt in etwa so viel wie "Alpe d'Huez 6 mal". Das Ganze hat einen honorigen Hintergrund. Man sammelt damit Spendengelder für die Krebsforschung. Genaueres ist hier zu erfahren. Wie auch immer. Sonntagmorgen machen wir uns ans Werk. Schnell noch ein Espresso im Hotel Oberland in Boug d'Oisan, dann geht es los.

Hotel

Noch bevor wir den Beginn des Anstiegs erreicht haben, merken wir, dass das heute irgendwie ein besonderer Tag ist. Am Camping La Piscine heizt ein Moderator die Stimmung an - natürlich auf Holländisch. Hier stehen jede Menge Radfahrer, vor allem Jugendliche, die bereit sind, sich in den Anstieg zu stürzen. Das ist anscheinend so eine Art Vorprogramm von "Alpe d'Huzes".

Schilder

Es sind Schüler von holländischen Gymnasien, die sich hier der Herausforderung stellen. Es sind bei weitem nicht alles Radsportler. Aber sie haben alle ein tolles Trikot und ein großes Schild mit ihrem Namen und dem College am Rad. Das ist doch schon Ansporn genug, es einfach zu versuchen. Ja, und so wird dann unsere Bezwingung des legendären Anstiegs eine Art Gemeinschaftsveranstaltung.

Blick

Wir fahren nicht schnell. Ich habe mir ohnehin vorgenommen von jeder der Kehren - dort sind alle bisherigen Sieger per Schild verewigt - ein Foto zu machen. Einige Betreuer der Jugendlichen gehen Alpe d'Huez zu Fuß. Wir müssen uns oft beeilen, nicht von den Fußgängern eingeholt zu werden. Denn der 13 km lange Anstieg pendelt oft so um die 10%. Da hat man mit dem Rad keine großen Vorteile.
Naja - landschaftlich gibt es sicher schönere Touren, aber der Ausblick in das Tal der Romanche und auf Bourg d'Oisan ist schon grandios. Und es ist halt die permanente Steilheit, die das Sportliche herausfordert. Man kann Alpe d'Huez getrost als Wallfahrtsort für Hobbyradler bezeichnen. Bei der Tour d'France fährt man in der Regel noch ein paar Meter weiter - aber wir lassen es, dort, wo die Hotels stehen, gut sein. Das ist auch das Ziel der Holländer. Der Moderator, jetzt am Zieleinlauf, ist in seinem Element.

Hilfe

Jeder neue Ankömmling wird mit Namen und Schule begrüßt. Und die, denen die letzten Meter schwer fallen, bekommen Schub von denen, die es schon geschafft haben. Wir rutschen da so einfach mit hindurch. Rundherum herrscht Volksfeststimmung. Das soll an der Stelle mal zum Thema Alpe d'Huez reichen. Die technischen Sachen kann man hier nachlesen.
Es war schön gewesen. Auch wenn es steil bergauf ging, so hatte der Tag für uns insgesamt aber eher erholsamen Charakter. Die eigentliche Königsetappe der Tour kommt morgen.

Schlucht

Dass es mit dem Galibier nichts wird, wussten wir natürlich schon kurz hinter Grenoble. In der Nähe von Vizille war angezeigt: "Col du Galibier - FERME". Es liegt dieses Jahr einfach noch zuviel Schnee auf dem Pass. Aber unabhängig davon ob geschlossen oder offen, der davor liegende Col du Lautaret bleibt einem nicht erspart, und der erreicht immerhin 2058 Meter ü.d.M. Aber die Auffahrt ist moderat, es zieht sich alles über eine Länge von etwa 40km. Die Strecke liefert all das, was Alpe d'Huez nicht bieten kann: Tiefe Schluchten, steile Hänge, gleißend weiße Wasserfälle, diverse Tunnel und immer auch eine schöne Alpenflora. Das Wetter ist ganz passabel. Auf den letzten 100 Höhenmetern wird es dann zusehends ungemütlich. Es beginnt zu regnen, aber nicht dramatisch, und die Temperaturen sind auch hinnehmbar.

Narzissen

Links und rechts der Straße wachsen an den Hängen Unmengen von Narzissen. Es läuft gut heute. Wir gönnen uns eine ausgiebige Mittagspause im Restaurant "Cafe de la Ferme" auf der Passhöhe. Auch wenn wir keine Gourmets sind, so empfehlen wir an dieser Stelle trotzdem mal den ausgezeichneten Apfelstrudel mit Eis.

Galibier

Tja, jetzt hätten wir noch ca. 500 Höhenmeter vor uns gehabt, aber der Schnee hat uns eine Strich durch die Rechnung gemacht. Das hat aber auch wieder seine gute Seite. Denn Plan B ist die Route nach Turin über Briancon. Das ist ohnehin die kürzeste Verbindung nach Italien, und somit hätten wir morgen etwas Zeit, uns Turin anzusehen. Ursprünglich wäre nur Zeit für eine Stadtdurchfahrt gewesen. In Briancon ist man wieder auf 1200 Meter ü.d.M. Die Stadt wurde wegen der strategischen Lage um 1700 mit Festungen überzogen und ist heute Bestandteil des UNESCO-Weltkulturerbes "Festungsanlagen von Vauban". Wir müssen zum Glück nicht ganz hinunter bis ins Stadtzentrum, der Abzweig nach Italien liegt 100 Meter höher.

Montgenevre

Aber man sieht schon aus der Ferne: Da kommt noch etwas. Und tatsächlich so ein kleines Alpe d'Huez wartet auf uns: der Col de Montgenevre mit 1860 Metern ü.d.M. Es ist zwar nicht ganz so steil, aber die Straße windet sich genauso den Hang hinauf ohne sich geographisch vom Fleck zu bewegen. So kommen wir doch noch zu den "eingesparten" Höhenmetern. Das war es aber dann vorerst einmal in Sachen Alpenüberquerung. Ab sofort geht es bergab.

Susa

Auf dem Weg nach Turin verdient es die kleine Stadt Susa erwähnt zu werden. Auch mit Plan A wären wir dort hingekommen. Zwei strategische Pässe - der Col de Montgenevre und der Col de Mont Cenis - münden hier in die italienischen Po - Ebene. Nach dem urspründlichen Plan wären wir über den Col de Mont Cenis gekommen, genauso wie im Jahre 1077 Heinrich IV. bei seinem Gang nach Canossa. Noch einmal ca. 1000 Jahre eher, in den Jahren 9/8 vor Christus wurde in Susa zu Ehren von Kaiser Augustus ein Ehrenbogen errichtet. Der steht heute noch am selben Fleck. Auch sonst ist Susa reich an historischen Bauwerken. Also summa summarum: Susa könnte man mal als Urlaubsort in Zukunft in Betracht ziehen.

Turin dagegen ist eher eine Strapaze. Wir haben einen knappen halben Tag Zeit. Vom Campingplatz im Norden machen wir einen kurzen Abstecher in die knapp 900 000 Einwohner zählende Stadt. Man darf keine Angst auf dem Rad haben. Es wird zwar rasant gefahren, aber jeder Autofahrer in Turin rechnet damit, dass der neben ihm fahrende Radfahrer sich nicht an die Verkehrsregeln hält. Und so funktioniert das Ganze letztendlich auch. Wenn halbwegs der Weg frei ist, setzt sich der Radfahrer in Bewegung - das Alter spielt dabei keine Rolle. Je älter, desto größer ist die Bereitschaft, die Verkehrsregeln zu ignorieren. Wir haben da anfangs noch etwas Scheu, aber irgendwann machen wir es dann genauso.

Mole

Mal am Po vorbeischauen, unter den Arkaden entlang fahren und der Mole Antonelliana (die übrigens auf der italienischen 2 Cent-Münze verewigt ist) einen Besuch abstatten. Noch ein Eis und einen Espresso - dann geht es wieder zurück. Angekommen ist ein Plattfuß zu verzeichnen - der Einzige der Tour. Städte sollte man wohl doch lieber meiden.

In der Nacht gibt es dann noch eine besondere Einlage. So gegen 0:30 Uhr zieht ein Gewitter auf. Das ist nichts Ungewöhnliches, aber es bewegt sich nicht vom Fleck. Bis in den Morgen hinein haben wir Dauerregen. Zufällig ist unser Stellplatz etwas auf erhobenem Gelände - so dass wir nicht in Seenot geraten.

Die Strategie beim Start im Regen ist dann immer wie folgt:
1.Man packt im Zelt erst mal alles zusammen.
2.Das trägt man an eine trockenen Ort (bei uns war es ein leerstehender Duschcontainer).
3.Man frühstückt erst einmal und hofft, dass der Regen nachlässt.
4.Und wenn es dann doch nicht passiert, dann muss man halt das Zelt trotzdem schnell abbauen.

Flut

Diesmal lässt der Regen nach. Schon kurz nach der Abfahrt bekommen wir einen Eindruck, was in den letzten 6 Stunden vom Himmel kam.

Jetzt geht es mal etwas näher, mal etwas weiter vom Po entfernt immer Richtung Osten. Berge sind kein Thema mehr. Aber, um innerhalb von 3 Tagen die Adria zu erreichen, werden die Etappen wieder etwas länger. Anfangs fallen wir ja noch ab und zu auf Radwegschilder herein. Der Po-Radweg existiert wahrscheinlich nur auf dem Papier - zumindest im westlichen Teil. Hinter der Brücke bei Rocca probieren wir es. Die Qualität ist erst mal ganz Ok, aber dann wird es immer mieser und bei (Lat: 45.17837 Lon: 8.13811) stecken wir in der Sackgasse und müssen erst mal wieder einen knappen Kilometer zurück. Naja, vielleicht haben wir ja auch nur irgendwo ein Schild übersehen. Wir sind jedenfalls jetzt gewarnt und bleiben künftig besser auf der Landstraße.

Friedhof

Etwas Besonderes sind die Friedhöfe in der Po-Ebene, z.B. in Fontanetto Po. Von weitem sieht es manchmal so aus als hätte man eine kleine Siedlung mit Stadtmauer vor sich - aber dann kommt es einem schon irgendwie etwas seltsam vor. Und steht man dann am Eingang, wird es klar: Das ist eine "Stadt" für Tote. Es sind meist prachtvolle Familiengrabstätten. Die neueren sind etwas schlichter gehalten, aber immer noch weit kostbarer als das, was man von deutschen Verhältnissen her kennt. Es muss früher eine vergleichsweise reiche Gegend gewesen sein zwischen Turin und Pavia, und ist es vielleicht auch heute noch. Landwirtschaftlich dominiert der Reisanbau, Wasser scheint es durch den Po im Überfluss zu geben.

Strasse

Dem könnte man jetzt den Straßenzustand entgegenhalten - der deutet eher auf Armut hin. Je näher wir Pavia kommen, um so schlimmer wird es. Die Fahrbahnmitte ist meist ganz ordentlich, aber der Rand ist ein Trauerspiel. Die Ursache ist sicher der Schwerlastverkehr. Die Autobahn ist weit weg, und trotzdem gibt es viele Logistikzentren und folgerichtig starken LKW-Verkehr. Als Radfahrer hat man keine Wahl zwischen Fahrbahnrand und Fahrbahnmitte. Wenn einem der Sattelzug im Nacken sitzt, wählt man immer das Schlagloch. Dementsprechend hatte auch die Technik bei dieser Tour einiges auszuhalten.

Eine schöne Begebenheit trägt sich in Torre Berretti zu. Wir sind etwas im "Hinterland" und müssen aber noch etwas einkaufen. Durch Zufall sehen wir den Hinweis auf einen "Tante-Emma-Laden". Die Verkäuferin hält gerade ein Schwätzchen mit der Nachbarin. Wir schauen uns etwas um, brauchen auf jeden Fall Brot - und dann sehen wir, dass da komplett schwarze, große Semmeln liegen. Die Farbe wie Holzkohle. Die Verkäuferin bemerkt unsere ungläubigen Blicke und bestätigt uns, dass man die essen kann. Also nehmen wir eine zum Test mit. Draußen müssen wir natürlich sofort mal kosten. Die beiden Frauen sehen uns amüsiert zu und fragen: "Bene?" Ich rufe sofort zurück: "Benissimo!!" Worauf sie anfangen zu lachen.

Semmeln

Kurz danach kommt die Verkäuferin mit einer großen Tüte, drückt sie uns in die Hand und sagt noch etwas auf italienisch. Ich verstehe nur das Wort "Regalo" - und mir fällt ein: das heißt "Geschenk". In der Tüte sind weitere 4 große schwarze Semmeln. Wir bedanken uns natürlich mit "Mille grazie".
Unsere Theorie ist folgende: Da hatte jemand die Idee, mal was ganz Besonderes (oder wohl besser Verrücktes) zu backen. Aber letztendlich sind die schwarzen Semmeln zum Ladenhüter geworden. Sie sehen ja auch grässlich aus - der Geschmack ist aber ganz akzeptabel. Man hat sich einfach gefreut, dass endlich mal jemand gesagt hat, dass sie gut sind.

Cremona

Pavia, Cremona, Mantua - das sind alles klangvolle Namen, die von großer italienischer Geschichte in der Po-Ebene zeugen. Wir haben natürlich viel zu wenig Zeit, um uns wirklich etwas anzuschauen. Es bleibt meist beim Bestaunen der mittelalterlichen Architektur während eines Espresso oder bei der Mittagspause im historischen Stadtzentrum.
Weltbekannt sind die kostbaren Geigen von Stradivari und Guarnieri, die von den großen Solisten auch heute noch gespielt werden. Sie alle kommen aus der Gegend um Cremona. Es begann im 16.Jahrhundert und noch heute baut man dort und in der Umgebung Violinen nach traditioneller Art. Diese Kunst wurde 2012 von der UNESCO zum immateriellen Weltkulturerbe ernannt, siehe hier. Im Geigenbaumuseum hätten wir uns gerne mal umgesehen, aber bis zum Etappenziel sind es noch 80 km, die Zeit reicht nicht.

Isomatte

Der Himmel in Mantua sieht wieder bedrohlich aus. Wir scherzen noch, dass man ja nicht schon wieder absaufen kann. Aber dann kommt es doch zum Deja Vu. Wieder geht das Gewitter um Mitternacht los, und wieder ist es auch morgens um 6Uhr noch nicht vorbei. Diesmal gibt es keinen bevorzugten Platz für das Zelt, denn die verfügbare Fläche ist begrenzt - eigentlich ist es nur ein großer Hof. Doch die Iso-Matte ist ja immer noch einen Zentimeter höher als die Umgebung, und so gelingt es, wenigsten den Schlafsack trocken zu halten. ;-) Dementsprechend erfolgt der Etappenstart mit reichlich zusätzlichem Wasser im Gepäck

In Sermide kreuzen wir die Sizilien-Tour von 2006. Damals ging es von Nord nach Süd, heute von West nach Ost. Wir sind uns gar nicht mehr so sicher, wo wir denn vor 12 Jahren hier Pause gemacht haben, finden es am Ende aber dann doch wieder. Letztmalig wird der Po überquert.

Etsch

Zirka 20 Kilometer nördlich hat sich die Etsch ihren Weg zur Adria gebahnt. In Flussrichtung links verläuft auf dem Deich die SP1. Das ist zwar eine offizielle Landstraße, aber es gibt so gut wie keinen Autoverkehr. Die Straße folgt allen Flusswindungen. Das ist für die meisten Motorisierten wohl doch etwas zu lästig. Insofern könnte man sie auch getrost als superbreiten Radweg bezeichnen, der bis ans Mittelmeer führt. Wir stranden schließlich (wohl eher zufällig, denn die Auswahl ist gut) bei Camping Smeraldo. Entgegen allen Erwartungen, dass die Campingplätze an der Adria überfüllt und teuer wären, herrscht hier fast familiäre Atmosphäre. Deshalb hier mal eine ausdrückliche Empfehlung für alle, die es etwas ruhiger vorziehen.

Kurs Nordwest

Venedig und Radfahren - das passt nicht so recht zusammen. Das Thema haben wir von Anfang an abgehakt. Aber für die Fahrt entlang der Küste gibt es eine interessante Alternative über die Venedig vorgelagerten Inseln Pellestrina und Lido. Man muss dabei zwar drei mal die Fähre in Anspruch nehmen, aber das ist eine willkommenen Abwechslung.

Chioggia

Die erste Bootstour beginnt in Chioggia, einer Kleinstadt an der Südseite der Lagune von Venedig. Samstagmorgen, wir haben schönstes Wochenendwetter. Um zur Fähre zu gelangen, muss man durch die Altstadt - und die ist großartig. Nach einem Espresso neben dem Campanile der Kathedrale Santa Maria Assunta fahren wir die breite Straße zum Hafen entlang. Hier ist zwar reger Fahrzeugverkehr, aber man ist umgeben von historischer Bausubstanz. Und biegt man kurz mal in eine Nebenstraße ein, so ist man in einer anderen Welt. Die Altstadt von Chioggiaist komplett von Wasser umgeben. Man muss nicht nach Venedig, um diese Atmosphäre einer Lagunenstadt zu erleben. Freilich ist hier alles etwas kleiner, und es gibt keine Rialto-Brücke und keinen Markusplatz. Aber dafür ist es ruhig, und die Schönheit dieser Harmonie von Stein und Wasser wirkt um so eindringlicher. Die Konsequenz: Nach Susa kommt jetzt auch Chioggia auf die zukünftige Urlaubsliste.

Venedig

Die zweite Bootstour bringt uns dann zur Insel Lido und bevor man schließlich zur letzten Überfahrt aufs Festland ansetzt, hat man einen Blick auf Venedig - Richtung Markusplatz. Es gibt auch eine Fähre dorthin - aber die nimmt keine Fahrräder mit, was wohl nachvollziehbar ist.

In Punta Sabbioni erreichen wir wieder das Festland. Und dann geht es durch die Urlaubszentren. Hotel reiht sich an Hotel. Irgendwann hat man alles hinter sich gelassen. Unser Campingplatz liegt in Caorle, dort fängt der Trubel wieder an. Auch das ist Urlaubergebiet und die Liegen am Strand stehen, farblich sortiert, in Reih und Glied. Aber trotzdem ist das irgendwie noch überschaubar und auch der Campingplatz, der hier ganz klar in die Kategorie "voll und teuer" einzustufen ist, ist durchaus schön und empfehlenswert. Offensichtlich zieht es viele Österreicher hierher.

Potoce

Slowenien ist Neuland für uns. Was überrascht, ist die Sauberkeit. Da ist alles picco bello. Hier herrscht mehr österreichische Mentalität als italienische, was auf Grund der Historie auch nicht verwunderlich ist. Die Stadt Ajdovscina betreibt einen schönen Sportkomplex, zu welchem auch ein Campingplatz gehört. Wir sind die Einzigen auf einem weiträumigen Areal. Zu fortgeschrittener Stunde verirrt sich noch ein Wohnmobil aus Deutschland hierher. Aber das war es dann auch. Gleich hinter dem Ort beginnen die Ausläufer der Julischen Alpen.

Die Fahrt durch Slowenien ist eher unspektakulär, aber auch recht anstrengend, vor allem die Radwege. Die sind bei fast allen Ortsdurchfahrten vorhanden. Man will es offensichtlich besonders gut machen, und so wird vor jeder Einfahrt abgesenkt. Letztendlich erzeugt man die gegenteilige Wirkung, dass man lieber auf die Benutzung des Radweges verzichtet, weil man ständig aus dem Tritt kommt. Von Profil her ist es anspruchsvoll, vielleicht mit dem Mittelgebirge bei uns vergleichbar.

Kartoffeln

Man bewirtschaftet jedes kleine geeignete Stück Land. Vieles wird zum Eigenbedarf angebaut. Und es gibt auch noch die klassische Heuernte, wo die ganze Familie mit im Einsatz ist.

Ljubljana, die Hauptstadt, ist eine quirlige Stadt. Es wimmelt im Stadtzentrum von Reisegruppen und die jungen Leute sind wohl in der Überzahl - Ljubljana ist Universitätsstadt. Architektonisch könnte man auch in Österreich sein.
Für uns wird es etwas schwierig, die richtige Route nach Maribor zu finden. Man will auch hier Vorbild sein und duldet keine Radfahrer auf den stadtnahen Hauptstraßen. Aber fragt man Einheimische, wie man denn nach Domzale kommt, so zeigen sie immer dahin, wo man eigentlich nicht fahren darf. Schließlich fällt uns auch nichts mehr ein. Wir folgen einfach dem Rat. Aber da bekommen wir Druck von der Autofahrern und werden ordentlich angehupt. Man könnte denken, dass man in Deutschland ist. Kopf einziehen und treten bis zur nächsten Abfahrt - dann nichts wie weg. ;-)

Oliver kocht

Vor der österreichischen Grenze verlieren wir etwas den Überblick und biegen falsch ab. Statt in Spielfeld überqueren wir die Grenze bei Mureck. Das liegt etwa 10 km weiter östlich. Wir sind etwas in Zeitverzug und zusätzlich geraten wir in ein Gewitter, bei dem man nicht so recht sagen kann, von wo nach wo es zieht. In Murfeld schließlich sehen wir beim Restaurant "Oliver kocht", dass man auch hier sein Zelt aufschlagen kann. Wir brechen die heutige Etappe vorfristig ab, was eine gute Entscheidung ist - wie sich später herausstellen wird.

Mur Baustelle

In Graz hat man Großes vor. Kommt man von Süden entlang der Mur, so gerät man in die Monumentalbaustelle "Murkraftwerk Graz". 2019 soll es in Betrieb gehen und "grünen" Strom für 20000 Haushalte liefern bei einem Investitionsumfang von 80 Millionen Euro. Uns kann das natürlich ziemlich egal sein - aber faszinierend ist, mit welchem Aufwand man den Mur-Radweg durch die kilometerlange Baustelle navigiert. Sogar Behelfsbrücken wurden gebaut. Das ist schon vorbildlich.

Je weiter wir uns dem Stadtzentrum nähern, desto mehr fallen umherliegende Äste und abgebrochene Bäume auf. An manchen Stellen ist die Feuerwehr beim Aufräumen. Hier muss es wohl vor kurzem ein Unwetter gegeben haben. Zu unserem Leidwesen ist der Schlossberg gesperrt - vielleicht die größte Attraktion der Stadt. Mitten im Zentrum erhebt er sich und überagt den Rest der Stadt um ca. 120 Meter.

"Träumend sah vom Schlossberg nieder,
Ich so manches liebe Mal
Und es klangen Burschenlieder
Grüßend zu der Stadt ins Tal.
Manches Glas und manchen Becher
Hab' ich dir, mein Graz, geweiht
Und im Kreise froher Zecher
Sang ich oft voll Seligkeit:
Student sein in Graz, wenn der Flieder blüht,
Student sein in Graz, wenn das Weinlaub glüht,
Wenn im Herzen die feurige Jugendlust brennt,
Student sein in Graz, Student sein, Student!"

Das hat Gerold Walzel (1901-1988) geschrieben und damit der Stadt Graz und dem Schlossberg ein poetisches Denkmal gesetzt. Es folgen noch zwei weitere, nicht weniger schöne, Strophen. Eigentlich ist es ein Lied, aber ich finde es als Gedicht schöner.

Schlossberg

Nun, uns lässt man nicht hinauf auf den Schlossberg - die Polizei hat dicht gemacht. Wie uns ein Passant erzählt, gab es gestern bei dem Gewitter eine mächtige Windhose und ein junger Mann (26 Jahre) wurde dort oben vom Baum erschlagen. Da war es wohl doch gut, in Murfeld zu bleiben.

Der schöne Blick auf die Stadt bleibt uns also verwehrt, und so fahren wir einfach weiter - immer den Mur-Radweg entlang nach Norden. Für morgen ist der Pyhrnpass im Programm. Da wäre es doch nicht schlecht, schon mal ein paar Kilometer vorzulegen. Aber so einfach wird das nicht.

Die Strecke von Graz nach Bruck an der Mur hat man inzwischen fast komplett zur Schnellstraße ausgebaut. Als Radfahrer bekommt man davon wenig mit. Teilweise fährt man auf der alten Trasse oder auf separatem Radweg - immer im Tal der Mur. Hinter Fronleiten zeichnet es sich dann immer deutlicher ab: Der Tag wird wohl im Regen enden. Vor uns hat sich ein Gewitter eingenistet. Da müssen wir wohl jetzt hindurch. Es dauert nicht lange und es beginnt zu schütten. Kurz vor Röthelstein unterquert der Radweg die Eisenbahn. Eine gute Gelegenheit zum Unterstellen. Wir sind nicht die Einzigen. Aus der Gegenrichtung kommt ein etwas älteres Radlerpärchen und sie berichten unter großer Aufregung von einer Riesenpfütze, die da in 300 Metern kommen soll. Naja, so schlimm wird es wohl nicht werden, denken wir. Als es weitergeht, haben wir die Pfütze schon wieder vergessen - aber dann stehen wir plötzlich davor.

Cremona

Man sieht absolut nicht, wie tief sie sein wird. Naja, die anderen sind ja auch durchgekommen - also nicht lange überlegen. Man darf nur nicht zum Stehen kommen. Wenn man nicht absteigen will, dann muss man treten. Und wenn man treten will, dann muss man unweigerlich mit den Füßen komplett eintauchen. Das klingt zwar jetzt vielleicht etwas lächerlich, aber es war schon etwas aufregend, durch eine 100 Meter lange Pfütze zu fahren, deren Tiefe man nicht kennt. ;-)

In Pernegg lassen wir dann den Radweg Radweg sein und wechseln auf die normale Straße, die parallel zur Schnellstraße verläuft. Eigentlich wäre der geplante Campingplatz bei Brugg gewesen. Aber wir sind ohnehin komplett nass und Lust auf Zelt haben wir bei dem Wetter auch nicht. Die Temperaturen sind ganz angenehm, da können wir auch noch ein paar Kilometer anhängen und bis Leoben fahren. Es wird schon irgendwo ein Zimmer gehen.

In Rottis Imbiss an der Hauptstraße (Lat: 47.38122, Lon: 15.10657) gibt man uns dann den Tipp "Gasthof Altmann, Südbahnstraße 32". Ein guter Tipp! Kein Luxus, dafür alles ganz solide, auch die Preise. Frühstück gibt es ab 6Uhr. Perfekt - wie für uns gemacht.

Leoben

Am Abend entschließt sich dann auch der Himmel, noch sein Ventil endlich zuzudrehen. Morgen steht die zweite Alpenüberquerung auf dem Programm.

Es beginnt erst mal mit einem schönen Frühstuck. Die Chefin wird sich über unseren Appetit gewundert haben: Nicht nur, dass wir noch ein paar Brötchen nachbestellen, auch die Kompottschüssel mit der Marmelade (so etwas gibt es bei uns normalerweise nicht zum Frühstück) ist leer. Tja, so ist das mit den Radfahrern. :-)

Voestalpine

Leoben ist Bergbaustadt - in etwa vergleichbar mit dem Sächsischen Freiberg. 1840 gründete Erzherzog Johann die Montanuniversität, die 1849 nach Leoben verlegt wurde. Sie ist die einzige Hochschule für Berg- und Hüttenwesen in Österreich. Fährt man Richtung Sankt Peter Freienstein, so kommt man am kilometerlangen Schienenwalzwerk der Voestalpine vorbei und bekommt einen kleinen Eindruck, mit welchen Dimensionen man es in der Stahlindustrie zu tun hat. Das ist schon etwas anderes als vielleicht Handys zusammenzuschrauben.

Bei Traboch biegen wir in das Liesingtal ein. Dann geht es fast 40 Kilometer im wesentlichen immer geradeaus, allmählich hoch zum Schoberpass (849m), den man eigentlich gar nicht als solchen warnimmt. Auf der anderen Seite geht es genauso gemächlich und ähnlich lang im Paltental wieder bergab. Dann ist es nicht mehr weit bis Liezen und dann kommt der Pyhrn. Der schafft es immerhin auf 945m über dem Meer, ist aber natürlich auch nicht vergleichbar mit unserer Route durch die Westalpen.

Alpen

Bei Micheldorf lassen wir dann die Alpen hinter uns. Jetzt könnte man kürzesten Weges zur Donau fahren, aber Passau erreicht man genausogut, wenn man am Inn entlang fährt. Bei Wels biegen wir nach Westen ab. Immer der Bundesstraße 137 folgend kommt man nach Schärding. Dann noch ein paar Kilometer am Ufer des Inn entlang und Passau ist erreicht.

Es ist Freitag am späten Nachmittag. Zwei Etappen wären noch zu fahren bis Triebel. Aber im Kopf haben wir die Tour schon abgeschlossen. Zwei Etappen würde bedeuten, dass wir erst Sonntagabend zu Hause ankommen. Also, warum nicht aus Passau abholen lassen? Man hätte das Wochenende noch zum Auspendeln. Diese Frage wurde natürlich schon eine Woche vorher entschieden, und das "Taxi" ist bereits bestellt.

Passau

Wir fahren erst mal zum Campingplatz, der direkt am Ufer der Ilz, Passaus drittem Fluss, liegt. Idyllisch - und das Beste: Wohnwagen und Campinganhänger sind hier verboten, wahrscheinlich weil die Zufahrt ziemlich eng ist. Zudem ist die Wiese nicht all zu groß. Wir machen uns noch einmal auf den Weg, ohne Gepäck, verschaffen uns einen kleinen Eindruck von der Stadt, die vom Dom "St. Stephan" überragt wird, schauen am Zusammenfluss von Donau und Inn vorbei und lassen uns schließlich beim Italiener in der Schrottgasse nieder.

Abschluss

Es lief besser als gedacht. Da kann man sich schon mal einen Obstler genehmigen, oder auch noch einen... :-)

Am nächsten Morgen um 7Uhr steht unser Abholservice vor der Tür. Heinz ist diesmal leider verhindert (im Urlaub), aber er hat seinen Sohn beauftragt. Danny macht die Sache genauso gut. Es geht noch einmal an einigen uns bekannten Orten vorbei, z.B. an Nabburg oder an der Bahnschranke unterhalb des Autobahnkreuzes "Oberpfälzer Wald". Gegen Mittag sind wir in Triebel. Eigentlich würden wir jetzt noch durch den Bayrischen Wald radeln. Aber das ist nur der Hauch eines Gedankens, denn für uns ist klar: Die zwei Etappen hätten wir mit Sicherheit auch noch geschafft.

Radfahrerische Nachlese

Bei dieser Tour sind wir erstmals richtig in der Schweiz Rad gefahren. 2005 bei der Dreiflüsse-Tour gab es einen kleinen Schlenker - aber das zählt nicht. Für uns war es durchaus eine neue Erfahrung, was die Integration mit dem restlichen Verkehr anbelangt.

Radverkehr

Natürlich gibt es in der Schweiz schöne Radwege, aber die gibt es auch anderswo. Neu für uns ist die Art des Zusammenspiels von motorisiertem und Radverkehr. Man fühlt sich als Radfahrer gleichberechtigt. Dort wo es etwas enger wird - und oft auch überland - trennt man i.a. durch eine gelbe unterbrochene Linie einen Teil der Fahrbahn für die Fahrräder ab. Das ist bedeutend besser zu fahren als ein separater Radweg, den man sich vielleicht noch mit den Fußgängern teilen muss. Insbesondere bei der Durchquerung von Genf war das angenehm. Vielleicht sind auch deshalb im Vergleich zu Deutschland durchschnittlich viel mehr E-Bikes unterwegs - oft mit rasanter Geschwindigkeit. Ob das nun gut oder schlecht für den Radverkehr ist, sei dahingestellt. Aber es trägt sicher dazu bei, den Schritt vom Auto zum Fahrrad zu befördern.

Geier

Für Ausländer ist Radfahren in der Schweiz aber noch aus einem anderen Grund unterhaltsam. Man ist ja nicht so schnell und kann immer die Werbeplakate für die nächste Volksabstimmung lesen. Und es wird so über alles Mögliche abgestimmt - für den Unbeteiligten ist das oft amüsant. Für die, die es angeht, ist es sicher keine leichte Aufgabe, sich immer positionieren zu müssen. Politisches Desinteresse kann man sich da eigentlich nicht leisten.

Vielleicht noch ein paar Gedanken zum Einsatz des Navis. Wahrscheinlich hat heutzutage fast jeder Radfahrer ein Smartphone im Gepäck. Es ist ja leicht auf diese Art und Weise nach einer Übernachtung zu suchen, seine Position festzustellen oder mal zu schauen, wie lange es denn in etwa noch regnen wird. Aber braucht man diese Information wirklich? Nimmt sie einem nicht auch ein Stück vom Abenteuer? Macht man sich vielleicht manchmal nicht zu viele Gedanken? Oft sind wir schon im Nachhinein zu der Erkenntnis gekommen, dass es gut war, nicht vorher schon gewusst zu haben, was da auf uns zukommt. Gut, 2016 in der Mongolei hatten wir aus (Un)Sicherheitsgründen ja auch ein Navi dabei. Und es hat sich als nützlich erwiesen. Trotzdem geben wir in "normalen" Ländern der Fahrt nach einer schönen Landkarte, mit eingezeichneter Route den Vorzug - auch wenn das heutzutage vielleicht schon etwas nostalgisch ist. Zwei Sachen haben aber auch wir inzwischen als positiv akzeptiert:

GPX Bild

1. Schön ist es, wenn man seine Route als Track aufzeichnen kann - inklusive aller Pausen. So ist die Nachbereitung ein Vergnügen, da sich alles super rekapitulieren lässt. Selbst kürzeste Fotostopps sind wieder auffindbar.
2. Das Etappenziel als Wegpunkt mit geographischer Länge und Breite im Navi ist beruhigend. Wir hätten den "Campingplatz" in Mantua nie und nimmer gefunden. Eventuell wären wir daran vorbeigefahren, weil er einfach nicht als solcher zu erkennen war.

Das Fazit

Das lief besser als erwartet. Der Tag Verspätung war im Voraus absehbar. Insgesamt war es schon recht anstrengend und zum wiederholten Mal kommt man zu der Schlussfolgerung: Beim nächsten Mal müssen die Etappen kürzer werden! Aber dann hätten die drei Wochen nicht ausgereicht. Es gab weder Anomalien beim Essen, noch Muskelkrämpfe - nicht mal das vorsichtshalber besorgte "Diasporal 400 Extra direkt" wurde benötigt. Was Landschaft und Wetter anbelangt, war die Tour perfekt - es war alles dabei: Hügel, Berge, Ebene, Großstadt, Hinterland, Bootsfahrt, Rückenwind, Gegenwind, kein Wind, Hitze, Dauerregen.
Der sportliche Charakter war diesmal etwas ausgeprägter, große Sehenswürdigkeiten lagen an der Strecke. Das Wesentlichste aber sind immer die kleinen Begebenheiten, die so per Zufall geschehen und das Salz in der täglichen Etappensuppe ausmachen.

Auch 2020 wird es die wieder geben. Denn nach der Tour ist vor der Tour: Es gilt die Russischkenntnisse aus der Schulzeit aufzufrischen.

der Oldi