Corona-Tour 2020

Die Flüge zum Baikal und von Ulaanbaatar zurück nach Deutschland waren gebucht, sogar ein Zimmer für die erste Übernachtung in Irkutsk war geordered - dann kam Corona.

Am Anfang sahen wir es recht gelassen. Bis Ende Juli ist ja noch ein halbes Jahr Zeit. Aber allmählich wurde klar, dass es eng werden könnte. Ein Plan B musste her. Das Einzige, was Anfang Mai mit hoher Wahrscheinlichkeit erwartet wurde, war eine wiederhergestellte Reisefreiheit innerhalb Deutschlands. Da liegt es auf der Hand: Deutschlandtour! Warum nicht mal durch alle 16 Bundesländer?

Start und Ziel wie üblich in Triebel. Es sollte kein Problem sein, dies innerhalb von drei Wochen zu bewältigen. Die Idee, auch alle 16 Hauptstädte mitzunehmen, muss man begraben, wenn man es sich auf der Karte genauer ansieht. Das ist innerhalb von drei Wochen nicht zu schaffen, jedenfalls nicht von uns. Aber das ist auch nicht so wesentlich. Verzichtet man auf die Hauptstädte, so ergibt sich sogar noch etwas Spielraum für individuelle Wünsche, wie etwa
- sich unterwegs mit Bekannten treffen
- am Schalke Stadion in Gelsenkirchen (Winfried ist bekennender Fan) vorbeischauen
- mit Melina und Sabina, unseren Nepalesinnen aus Freiburg, eine Radtour machen.

Dank Internet war es nicht schwer innerhalb kurzer Zeit die Route zu erstellen.Fährt man vom Vogtland aus im Uhrzeigersinn, so kommen die schweren Etappen zuerst.

Finale Route

Freiburg sollte innerhalb von vier Tagen erreichbar sein. Auch Melina und Sabina freuten sich auf eine gemeinsame Tour und wollten sich den 29.Juli frei halten. Die Planung hierfür sei ihnen überlassen. Wir dachten, dass wir vielleicht etwas entspannt in der Umgebung Freiburgs radeln ... evtl. zum Kaiserstuhl. Aber dann staunten wir nicht schlecht, als der Vorschlag "Schauinsland" kam. Wörtlich: "Es geht ein bisschen bergauf, aber da haben wir keine Zweifel mit euch." Tja, "ein bisschen bergauf" aus nepalesischer Sicht - dass sind eben 1000 Höhenmeter. Wir waren begeistert!

Dann kam noch die Einladung von Bernhard, meinem Chef, bei ihm in Herrenberg zu übernachten - was wir natürlich dankend annahmen. Bernhard ist auch leidenschaftlicher Radfahrer und bekannt dafür, auch bei Schnee barfuß mit Sandalen unterwegs zu sein - manchmal jedenfalls. ;-) Die Schwaben sind halt von der harten Sorte - dagegen sind wir Weicheier.

Der 25.Juli - beabsichtigter Starttermin - konnte also kommen!

Die Vorbereitung

Natürlich kann man Corona nicht ganz ausblenden. Abgesehen davon, dass wir diesmal als neues Bekleidungsstück die Maske mitnehmen müssen, stand die Frage: Campingplätze reservieren oder nicht reservieren? Wir haben uns dann dafür entschieden, es einfach wie immer ohne Reservierung zu versuchen. Denn kommt man aus dem Plan, dann hat man das Problem, alles wieder umbiegen zu müssen. Eine einmalige Übernachtung mit zwei kleinen Zelten sollte doch immer möglich sein - und so war es dann auch. Ein Rückholservice musste auch nicht bestellt werden, da bei 18+1 Fahrtagen mindestens drei Reservetage zur Verfügung standen. Insofern - alles wie immer - wir werden sehen.

Start

Am Sonnabend, dem 25.Juli, starten wir gegen 7 Uhr in Triebel/Vogtland, Bösenbrunner Straße. Wir, das sind Winfried Bahmann aus Triebel und Manfred Rahmig aus Dresden. Unsere "Fans" sind wie immer zum Start gekommen. Die Presse ist diesmal nicht dabei. "Deutschlandtour" klingt halt doch nicht so aufregend. Kann ja jeder machen. Aber für uns war es nicht minder spannend, denn der Oldi hatte wieder recht "sportlich" geplant - entgegen aller bisherigen Erkenntnisse, dass die Etappen kürzer werden müssen. Ca. 2500 Kilometer in 18 Tagen, das muss erst mal gefahren werden - schließlich nähern wir uns mit inzwischen 64 bzw. 62 Jahren allmählich der Rente.

Im Süden Deutschlands

Bayern, Baden-Württemberg

Vier Tage bis Freiburg ist das Nahziel. Da muss man ziemlich geradlinig unterwegs sein. Sind wir sonst immer über Kulmbach - Bamberg gefahren, so muss es diesmal über Bayreuth gehen. Das heißt Fichtelgebirge und Fränkische Schweiz als Doppelpack.

Schilder

Wie der Zufall es will, so wäre gerade heute die Eröffnung der Bayreuther Festspiele gewesen. Ohne Corona hätten wir vielleicht Angela Merkel treffen können, oder - was wohl wahrscheinlicher ist - wären gar nicht bis zum "Grünen Hügel" vorgedrungen. Heute aber ist es möglich. Touristen sind unterwegs, aber auch ein paar Leute in vornehmer Garderobe - denn es gibt zumindest ein Konzert als Ersatzveranstaltung in der Villa "Wahnfried". Na zumindest waren wir mal da und haben das Festspielhaus von außen gesehen.

Die Fränkische Schweiz zeigt sich erst einmal von der wohlwollenden Seite. Kommt man aus Richtung Bayreuth, so geht es auf der St2186 immer schön im Tal entlang bis Plankenfels.

Langos

Der Biergarten beim Gasthof "Schwarzer Ritter" hat einen vorzüglichen Langos auf der Speisekarte - mit ordentlich Knoblauch und Käse. Dem können wir nicht widerstehen. Das erinnert an Urlaub am Balaton vor reichlich 40 Jahren. Es muss wohl damals ganz genau so geschmeckt haben.

Felsen

Dann lassen wir uns zur Abwechslung mal auf den Radweg nach Breitenlesau ein. An der Wiesent entlang kommen wir an Kletterfelsen vorbei. Als "Nichtkletterer" hat man ja in der Sächsischen Schweiz immer so seine Zweifel, ob die Sicherungshaken wirklich im Gestein halten. Aber hier sehen die Felsen noch poröser aus. Respekt wer sich dem anvertraut!

In Nankendorf 90 Grad nach rechts und wir haben plötzlich unsere ersten 15% Steigung. Zwar nur ca. 100 Meter, aber man bekommt gleich mal ein Gefühl dafür, wo die Grenzen liegen.

Prozent

Und dann machen wir noch eine ganz neue Erfahrung: Wieder zurück auf der St2186, zwischen Oberfellendorf und Streitberg, stehen zwei Schilder (links und rechts) und zeigen an, dass es gleich 25% bergab geht. Donnerwetter! Das hatten wir bisher noch nie. Aber ein paar Meter weiter kommt schon das nächste Schild und sagt, dass man da als Radfahrer nicht hinunter darf. Ein Hinweis, wo man denn stattdessen entlang fahren könnte, fehlt leider. Wir sind mitten in der Botanik. Ortskundige wissen sicher was die Alternative ist. Aber da wir auch keinen Lust haben zurück nach Oberfellendorf zu fahren, nehmen wir, ganz vorsichtig, die 25% in Angriff. Unsere Ladung schiebt natürlich ordentlich, aber man kann ja immer mal anhalten. Insofern: Alles gut gegangen, mal abgesehen von den erbosten Autofahrern. Wer es selbst mal testen will - vielleicht auch in umgekehrter Richtung - hier die Koordinaten: 49.81572, 11.22528.

Der Campingplatz in Dechsendorf ist recht voll. Sieht man von den vielen Hinweisschildern in Bezug auf Corona ab, so läuft alles seinen gewohnten Gang. Das beruhigt. So kann es weitergehen.

Maske

Wir bleiben auf Kurs Südwest und erreichen bei Gerhardshofen das Tal der Aisch. Hier war ich ein Jahr zuvor mit Lkhamaa auf der Tour nach Karlsruheunterwegs. Bis Rothenburg ob der Tauber fahren wir fast die gleiche Strecke. Natürlich haben wir heute nicht so viel Zeit, uns die Altstadt anzusehen wie damals. Hier einfach mal ein Link: Es lohnt sich. Es blieb noch im Hinterkopf, dass wir runter zur Tauber müssen, und es auf der anderen Seite dann wieder hoch geht - allerdings an einem späteren Abzweig. Und dann kommt der Aha-Effekt: Der Abzweig Richtung Schwäbisch Hall lässt auf sich warten, stattdessen geht es wieder hoch zur Stadt, und erst dort ist Schwäbisch Hall ausgeschildert. Den Ausflug runter zur Tauber hätten wir uns ersparen können. Da hat der Oldi wohl nicht richtig aufgepasst bei der Planung. Man sollte sich auch die Höhenlinien etwas ansehen.

Kocher

Bei Wolpertshausen geht es hinunter ins Tal der Bühler. Der zugehörige Radweg ist eher vom Typ rustikal. Der Fluss mündet bei Geislingen in den Kocher, und man steht vor der höchsten Talbrücke Deutschlands. 1979 fertiggestellt, war sie mit ihren 178 Meter hohen Brückenpfeilern die weltweit höchste Talbrücke. 2004 wurde sie dann vom "Viaduc de Millau" abgelöst, und laut Wikipedia hält seit 2013 die "Puente San Marcos" in Mexiko mit einem 208 Meter hohen Pfeiler den Weltrekord. Faszinierend ist ihre grazile Form. Man mag kaum glauben, dass da oben die A6 verläuft.

Jetzt immer den Kocher flussaufwärts und man kommt nach Schwäbisch Hall - nicht weniger imposant als Rothenburg. Aber es ist schon spät, und der Drang zum Campingplatz ist stärker als der nach Kultur.

Bernhard will uns etwas entgegen kommen. Er hat sich extra den Montag frei genommen. Wir haben ausgemacht, dass wir uns vor Stuttgart, bei Neckarrems an der Brücke über die Rems treffen. Aber er ist natürlich wieder viel schneller und kommt uns bereits bei Burgstetten entgegen. Auch hat er unterwegs schon mal in Weiler zum Stein einen Biergarten zur Einkehr ausfindig gemacht. Ab sofort haben wir also einen Reiseführer, der den Weg kennt und auch sonst eine ganze Menge in Bezug auf Land und Leute zu erzählen weiß.

Bernhard also vornweg, und wir versuchen dran zu bleiben! Er hatte mir auch angeboten, gleich mal was von meinem Gepäck zu übernehmen. Fast hätte ich leichtfertig "ja" gesagt. Aber es verbietet sich natürlich von selbst: Das hätte ja einen Makel auf unsere Tour geworfen. Das darf nicht sein. ;-)

Brezel

Wir durchqueren Stuttgart. Die hängengebliebenen Highlights mal in Kürze:
(1) Stadteinwärts, neckaraufwärts kommend, gibt es viel Grünes, auch einen schönen See. Man könnte sich wunderbar ausruhen - aber dafür ist keine Zeit.
(2) Man muss das Bad Cannstadter Mineralwasser getrunken haben. Stuttgart ist, nach Budapest, die Stadt mit den größten Mineralwasservorkommen in Europa.
(3) Man muss die besten Laugenbrezeln gegessen haben (gibt's bei Brezel-Frank in der Teinacher Straße). Wichtig: Aufschneiden und mit Butter schmieren lassen.
(4) Man muss mal am Erbsenbrunnen in Bad Cannstadt gewesen sein. Für dessen Figur soll der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker Modell gestanden haben.
(5) Man muss die Stuttgart21-Baustelle gesehen haben. Es bleibt zu hoffen, dass irgend jemand noch den Durchblick hat, was hier geschieht.
(6) Man muss mal am Schlossplatz und am Schillerplatz gewesen sein.

Erbsenbrunnen

Für Daimler oder das Mercedes-Benz Museum haben wir keine Zeit - ist sicher aber auch sehenswert.

Stadtauswärts kommt der Anstieg. Bernhard will scheinbar mal testen, was wir drauf haben und schickt uns in den Dachswaldweg. Den hatte ich 2015 bei meiner Stuttgart-Tour irgendwie verpasst und bin außen herum gefahren. Hinterher war ich ganz froh darüber - aber heute muss es wohl sein. Wenn der Chef sagt: "Hier geht es lang", dann wollen wir jetzt mal nicht widersprechen. Es sind immerhin fast 150 Höhenmeter mit bis zu 15%. Wir schalten runter und kämpfen uns hoch nach Vaihingen. Unser Guide hat zwar nichts gesagt, aber ich glaube er war zufrieden mit unserer Leistung. Wir waren es jedenfalls. :-)

Schönbuchturm

Und dann fahren wir auf Bernhards täglicher Radstrecke Richtung Herrenberg. Ganz exakt ist das nicht, da wir noch dem Schönbuchturm einen Besuch abstatten wollen. Den gibt es erst seit 2018. Es ist einfach eine herrliche Aussicht. Der Blick reicht bis zur Schwäbischen Alb und zum Schwarzwald. Die Gegend rundherum war früher Jagdgebiet des württembergischen Adels.

Schnell noch ein Abstecher in Herrenbergs Altstadt, dann klingt der Tag zu Hause bei Eva und Bernhard an einem ordentlichen Tisch, mit einem schönen Adendessen und nachfolgend weichem Bett aus. Solchen Komfort gibt es erst in reichlich zwei Wochen wieder. An der Stelle: Herzlichen Dank für die Gastfreundschaft!

Hut

Von Herrenberg nach Freiburg steht der Schwarzwald im Weg. Der Oldi hat versucht die leichteste Route zu finden. Über Alpirsbach - Schenkenzell - Schiltach - Wolfach - Kirnbach - Gutach - Oberprechtal - Elzach - Waldkirch geht es zwei mal ordentlich bergauf. Das ist allemal besser als viele kleinere Anstiege. Man muss nie höher als 700 Meter. Wurde der erste Berg noch problemlos gemeistert, so gibt es hinter Gutach, übrigens die Heimat des schwarzwaldtypischen Bollenhutes, dann doch einen kleinen psychischen Schock. Von der B33 biegt man rechts in die L107 ein, und das erste was man sieht ist ein Hinweisschild: 18% auf 4 Kilometer.

Schild2

18% hatten wir bisher nur einmal - in San Marino. Aber da waren es vielleicht 200 Meter. Aber es hilft nichts, wir müssen da hoch. Bleibt noch die Hoffnung, dass es vielleicht nur ein paar einzelne Stellen sind. Doch die Straße bleibt durchgängig gnadenlos steil (auch wenn 18% vielleicht doch etwas zu hoch gegriffen ist). Und dann steht am Scheitelpunkt, am Büchereck, nicht mal ein Passschild! Bitte stellt mal ein Schild dorthin, auch wenn es nur 651 Meter über NN sind. Die Radfahrer würden sich freuen - allerdings haben wir - außer uns - an dem Tag auf dieser Straße keine gesehen. Vom Büchereck aus ist der Rest ein Kinderspiel und nach fast 150 Kilometern treffen wir gegen 20:30 Uhr in Freiburg beim "Camping am Hirzberg" ein. Der südlichste Punkt der Tour ist erreicht.

Mittwoch, 29.Juli - für uns der wohl spannendste Tag von allen. :-) Gestern Abend haben wir noch einmal mit Melina telefoniert. Sie hat ihren Zahnarzttermin für heute abgesagt, so dass wir schon zeitig starten können. Sie wollen uns am Campingplatz abholen. Gegen halb 9 Uhr stehen wir mit den Rädern am Eingang und schauen gespannt in Richtung Stadtzentrum. Von dort sollten sie kommen. Wir müssen nicht lange warten. Zwei junge Damen im sportlichen Outfit auf verkappten Rennrädern sind schon von weitem auszumachen. Die Freude ist auf beiden Seiten riesig. Am besten wir trinken erst mal einen Kaffee. Irgendwie muss man sich ja zuerst noch etwas kennenlernen - die 5 Minuten am Rheinfall in Schaffhausen liegen ja schon zwei Jahre zurück. Sabina übernimmt die Führung, und es geht mit ziemlicher Geschwindigkeit Richtung Innenstadt. Ich habe meine Mühe dranzubleiben - das kann ja heiter werden. :-)

Cafe

Die Tische vor dem Unicafe sind fast alle belegt, aber wir finden noch etwas. Ja und dann wird erst mal gegenseitig ausgefragt. Das behalten wir an dieser Stelle aber mal für uns. ;-) Auch muss die heutige Route besprochen werden: Zuerst zum "Schauinsland" und dann gibt es evtl. noch eine Zugabe.

Wir sind im Uni-Viertel. Wenn man sich umschaut, so sieht man vorwiegend junge Leute ... und dann ... dort drüben ... das ist doch ... nein ... oder doch ... ? Melina und Sabina: "Natürlich, ganz sicher, das ist Jogi Löw - der Bundestrainer." Er sitzt entspannt schräg gegenüber am Restaurant Mamahe mit einer attraktiven Dame und zwei weiteren Männern. Sie "löffeln" ihr zweites Frühstück ... oder vielleicht ist es ja auch das erste. Wir begnügen uns mit einem verstohlenen Foto aus sicherer Distanz. Für weitere Aktionen fehlt uns der Mut. Das wird man uns zuhause ohnehin nicht glauben wollen.

Auffahrt

Aber hier soll es ja nicht um Fussball, sondern ums Radfahren gehen. Zu viert nehmen wir den "Schauinsland" in Angriff. Auf dem direkten Weg von Freiburg aus fährt man vormittags vorwiegend im Schatten. Die Temperaturen sind angenehm. Wenn man dann in die Sonne kommt, so ist man schon nahe der 1000 Meter und da ist es auch bei Hitze erträglich. Bergauf ergreift zumeist Melina die Initiative und spannt sich vor das "Feld". Jetzt noch aus dem Sattel gehen, dann könnte man meinen, Marco Pantani vor sich zu haben. Sabina ist eher die Frau für die rasanten Abfahrten, wie sich später herausstellt. Da kann Melina nicht mithalten, was wohl daran liegt, dass sie auch bergab auf dem kleinen Kettenblatt unterwegs ist (das war jetzt nur Spaß ;-)).

Oben

Aber uns geht es natürlich nicht darum schnell zu sein. Ab und zu machen wir kleine Pausen, und so nebenbei erfährt man dies und das. Wir sind ja immer noch in der Kennenlernphase. Auch die letzten Meter hoch zum Aussichtsturm fahren wir mit dem Rad. Da wird es nochmal richtig steil. Es ist eigentlich ein Wanderweg. Im Normalfall würde ich jetzt sagen: "Müssen die mit den Fahrrädern hier hochrammeln!" Aber heute gehöre ich mal selbst zu denen - man möge uns verzeihen. Dafür können wir natürlich ein schönes gemeinsames Foto mit Fahrrad machen.

Zum Schauinsland muss man nichts weiter sagen. Wir haben relativ gute Sicht. Die Vogesen sind super zu sehen, und von gegenüber grüßt der Feldberg.

Feldberg

Auf der anderen Seite geht es dann auf breiter Straße mit ordentlich Gefälle Richtung Kirchzarten bergab. Hier könnte man neue Geschwindigkeitsrekorde aufstellen. Wie schon festgestellt: Sabina ist die Frau für die Abfahrten - wir haben Mühe dranzubleiben. Im Cafe "Orangerie" in Kirchzarten kommt dann die verdiente längere Pause. Auch wenn es leider keinen "frischgepressten Orangensaft" für Sabina gibt, so hat man doch wenigstens "nichtfrischgepressten Orangensaft" im Angebot. Melina können wir zu einem verdünnten Rothaus Tannenzäpfle überreden.

Abfahrt

Dann noch ein Eis... und bevor es später wieder hoch nach Sankt Peter geht - mit 1000 Höhenmetern geben wir uns nicht zufrieden, da müssen schon noch 400 nachgelegt werden :-) - wird unterwegs noch der Kuchen geteilt, den Melina die ganze Zeit im Rucksack spazieren gefahren hat.

Die Tour endet dann im Restaurant Divan in Freiburg. Die Sonne scheint zwar noch, aber wir haben morgen 170 km vor uns, da müssen wir zeitig starten.

Abschied

Wer weiß, vielleicht gibt's ja auch mal eine gemeinsame Tour auf dem Elberadweg. :-) Aber das ist womöglich zu flach. Da muss dann mindestens noch ein Abstecher in's Erzgebirge mit in das Programm. Die Einladung sei hiermit ausgesprochen.

Noch eine ordentliche Umarmung - trotz Corona - und fort sind sie wieder. Schön war's! Melina und Sabina hätten heute auch unsere Kinder sein können.

Im Westen Deutschlands

Rheinland-Pfalz, Saarland, Hessen, Nordrhein-Westfalen

Es geht Richtung Norden. Im Rheintal, links die Vogesen, rechts der Schwarzwald, fahren wir mehr oder weniger entlang der B3. Berge gibt es heute keine, und selbstverständlich ist überall ein Radweg vorhanden.

Fähre1

An der Fähre in Rheinstetten haben wir uns mit Eduardo verabredet. Bei ihm und Ani haben Lkhamaa und ich letztes Jahr zur Karlsruhe-Tour übernachtet. Und wenn man nun schon mal wieder in der Gegend ist, da könnte man sich ja auch wieder einmal treffen. So gegen 18 Uhr erreichen wir das Zollhaus an der Fähre und sichern vorsorglich einen Schattenplatz im Biergarten. Eduardo will auf dem Nachhauseweg von Arbeit vorbeikommen, muss sich aber erst mal um einen Parkplatz kümmern. Der Andrang der Autos an der Fähre ist groß, da kann man nicht einfach an der Schlange vorbeifahren. Das würde Ärger geben. Letztendlich geht aber alles seinen Gang, und wir haben eine knappe Stunde Zeit.

Eduardo

Mit der letzten Fähre, die eigentlich um 19 Uhr den Betrieb einstellt, setzen wir gegen 19:20 Uhr nach Rheinland-Pfalz über. Da hatten wir Glück - ein pedantischer Fährmann oder ein Bier mehr und unsere heutige Etappe wäre vorzeitig zu Ende gewesen. Der Oldi hatte bei der Planung einfach angenommen, dass sie länger fährt. Auf der anderen Seite wartet noch ein einsames Auto. Aber der Fährmann macht den Motor aus und ruft: "Nächste Fahrt morgen um 6!"

Wir haben noch fast 25 km bis Rülzheim, eingekauft muss auch noch werden. So gegen halb 10 Uhr kommen wir am Freizeitzentrum "Moby Dick" an. Am Eingang zum Zeltplatz stehen zwei Security Leute: "Wir dürfen Euch hier nicht reinlassen, sonst bekommen wir Ärger. Aber ihr könnt euch ggf. bei den Wohnmobilen auf dem Parkplatz mit hinstellen." Das verursacht wiederum bei uns Ärger. Der zum Freizeitzentrum gehörende Badesee ist auch komplett eingezäunt - es muss also heute mal ohne Wasser gehen. Ich bin schon dabei zu überlegen, wie ich Rheinland-Pfalz im Reisebericht anschwärzen könnte, weil man arme, zu spät gekommene Radler nicht mehr auf den Zeltplatz lässt. Am nächsten Tag sehe ich mir den Eingang nochmal etwas genauer an. Der Campingplatz ist wegen Umbauarbeiten generell zu - lediglich Dauercamper dürfen rein. Na, dann sei Rheinland-Pfalz entlastet - da müssen wir es wohl eher wieder dem Oldi in die Schuhe schieben.

Spieler

Es wird von Tag zu Tag heißer. Von Rheinland-Pfalz geht es ins Saarland. Der Pfälzer Wald sorgt erst einmal für erträgliche Temperaturen. Da wir ja beide früher aktive Fussballspieler waren, ist das kulturelle Highlight in Kaiserslautern für uns das Denkmal "Elf Freunde" in der Nähe vom Hauptbahnhof. Hier steht der 1.FCK in voller Pracht. Aber das sind noch nicht alle Figuren. Nicht weit davon entfernt gibt es weitere Beton-Fussballer im Rahmen einer zweiten Installation "Fussball ohne Grenzen", die anlässlich der WM 2006 aufgestellt wurde. Diesmal sind Spieler verschiedener Nationen in Aktion darstellt.

Zuschauer

Und auch den Fans hat man ein Denkmal gesetzt. Sie betrachten sich das Ganze von oben. Am künstlerischen Wert der gesamten Installation kann man vielleicht etwas zweifeln, aber es ist schön, dass es auch so etwas einmal gibt! Dann noch ein kaltes Getränk an der "Betzebud", gleich daneben. Statt dem üblichen alkoholfreien Bier jetzt mal ein Gurken-Minz-Wasser zur Abwechslung, das als Spezialität angepriesen wird. Der Name klingt besser als es schmeckt. Pfefferminze und grüne Gurke passen wohl doch nicht so recht zusammen. Es wird Zeit weiter zu fahren. Das heutige Ziel ist der Bostalsee im Saarland.

Autos

Entlang der L395 kommt man durch Landstuhl, nicht weit weg von Ramstein, Zentrum der Kaiserslautern Military Community. Das ist die größte US Militärbasis außerhalb der Vereinigten Staaten und umfasst ca. 50000 Soldaten und Zivilbeschäftigte. Man glaubt zeitweise nicht mehr in Deutschland, sondern in einer Kleinstadt in Amerika zu sein. Die Beschriftung der Geschäfte ist in Englisch und auch die sonstige Aufmachung passt dazu. Lediglich die Nummernschilder der Autos zeigen, dass hier etwas nicht stimmen kann.

Rund um Sankt Wendel (Saarland) ist es bergig. Es geht entweder hoch oder runter. Noch dazu erreicht die Hitze ihren Höhepunkt. Wir treffen ein Pärchen mit Rad, das auch, wie wir, ziemlich abgekämpft erscheint. Sie wurden gestern am Bostalsee abgewiesen, weil der Campingplatz voll war. Stattdessen waren sie dann in Birkenfeld. Dessen Zeltplatz soll richtig gut sein und noch dazu preiswert.

Sachen

Bevor wir unnötige Kilometer fahren, nehmen wir den Rat lieber an und steuern ebenfalls Birkenfeld an. Außerdem liegt es gar nicht so ungünstig bezüglich unserer Route. Da haben wir schon mal ein paar Kilometer gut gemacht für morgen. Und die beiden haben auch nicht zu viel versprochen - ein schöner Campingplatz. Das Saarland haben wir damit bereits wieder verlassen und sind zurück in Rheinland-Pfalz. Die Sachen trocknen in der Abendsonne. Morgen ist Hessen an der Reihe.

Der Tag beginnt wolkenverhangen. Es hat den Anschein als verdichteten sie sich noch. Abgekühlt hat es noch nicht. Hinter Idar-Oberstein hat uns dann der Regen eingeholt. Aber wir sitzen ihn bei Burger King im Einkaufspark einfach aus. Der Spuk ist schnell wieder vorbei. Die heutige Etappe ist knapp 100 Kilometer, und es scheint entspannt zu werden. Es geht immer den Nahe-Radweg entlang, einem Nebenfluss vom Rhein. Die Nahe mündet bei Bingen. Schräg gegenüber liegt Rüdesheim - das ist Hessen.

Bingen

Aber noch sind wir in Bingen. Es ist Sonnabendnachmittag. Im Stadtzentrum findet gerade eine Feuerwehrübung statt. Wahrscheinlich hat das Kaufhaus gebrannt. Es scheint erfolgreich gelöscht worden zu sein, denn man beginnt gerade mit dem Einpacken. In der Eisdiele neben dem Marktbrunnen ist man hautnah dabei. Überhaupt ist man in der Eisdiele recht locker drauf. Da wir uns statt einem Standardbecher lieber je 3 Kugeln aussuchen wollen, es aber keine Karte gibt, wo alle Eissorten verzeichnet sind, bringt der Chef gleich mal die große Tafel mit den mit Kreide geschriebenen Eissorten zur Auswahl an den Tisch.

Fähre2

Mit der Fähre geht es von Bingen nach Rüdesheim. Morgen früh geht es den gleichen Weg wieder zurück. Damit können wir dann Hessen abhaken. Von Rüdesheim fährt eine Seilbahn hoch zum Niederwalddenkmal. Das wurde 1883 eingeweiht und reiht sich ein in eine ganze Liste von monströsen Bauten, die die Gründung des Deutschen Reiches 1871 feiern. Von oben hat man einen grandiosen Ausblick auf den Rhein.

Niederwalddenkmal

Da wir heute zeitig sind, schwinge ich mich nochmal auf's Rad, um ein paar Fotos zu machen. Winfried erkundet inzwischen die nähere Umgebung. Es wird wieder extrem steil, wieder 15%, aber eben ohne Gepäck - und der Aussicht wegen hat es sich letztendlich gelohnt.

Sonntag gibt es dann die klassische Rheintour von Bingen bis Koblenz: Weinberge, Schlösser und Burgen, Schiffe auf dem Rhein - eine Bilderbuchkulisse. Da muss man nichts weiter dazu sagen. Der Radweg könnte etwas besser sein - oft ist er betonsteingepflastert. Aber wollen wir mal nicht meckern.

Loreley

Gegenüber dem Loreley Felsen ist Zeit für einen Espresso. Dann geht es weiter: Weinberge, Schlösser und Burgen, Schiffe auf dem Rhein. Am Deutschen Eck in Koblenz wieder ein mächtiges Einheitsdenkmal: Hoch zu Ross Kaiser Wihelm I. Die letzten Kilometer bis Königswinter werden dann doch noch etwas anstrengend, weil starker Gegenwind aufkommt.

Remagen

Zu erwähnen wären noch die mahnenden Pfeiler der Brücke von Remagen. Diese diente im 2. Weltkrieg den Alliierten als erster Übergang über den Rhein, weil die vorherige Sprengung durch die Wehrmacht misslungen war. Am 17.März 1945 stürzte sie doch noch ein. Ursache waren weitere Schäden durch Artilleriebeschuss und Bombardierung sowie letztendlich Überlastung. 32 amerikanische Soldaten kamen beim Einsturz ums Leben.

Für uns ist heute einige Kilometer vor Bonn Endstation. Vom Campingplatz aus hat man einen schönen Blick auf das Siebengebirge. Wir sind direkt an der Grenze von Rheinland-Pfalz nach Nordrhein-Westfalen.

Der kommende Tag wird anstrengend. Nicht wegen der Berge, die gibt es nicht, sondern wegen der Stadtdurchfahrten: Bonn, Köln, Düsseldorf, Mülheim a.d. Ruhr, Essen - alles in einer Etappe. Radwege sind da, aber das ständige Abbremsen und wieder Beschleunigen kostet Energie. Das kulturelle Highlight kommt ziemlich am Ende - die "Veltins Arena" in Gelsenkirchen - oder mit anderen Worten "Das Stadion von Schalke 04".

Assauer

Bei denen läuft es ja im Moment nicht so rund. Wir sind relativ spät dran. Gegen 19 Uhr biegen wir in den Rudi-Assauer-Platz ein. Niemand da, außer uns vielleicht noch ein Wachmann. Es gehört natürlich noch viel viel mehr zu dieser Anlage, aber für heute muss es genügen. Bis Oer-Erckenschwick sind es noch ca. 30 Kilometer. Wir beginnen etwas an unseren Fähigkeiten zu zweifeln.

Schalke

Man könnte ja auch im nahe gelegenen Arena-Hotel übernachten. Aber es sind keine Doppelzimmer frei. Das Einzelzimmer gibt es ab 99 Euro. Das ist uns zu fett. Wir probieren es später nochmal in Recklinghausen. Aber alle, die wir fragen, sagen uns, dass es im Ort keine Übernachtungsmöglichkeit gibt. Was aber wohl (im Nachhinein) doch nicht ganz stimmt. Egal - wir nehmen dann doch noch die restlichen Kilometer in Angriff, und fast im Dunkeln erreichen wir den Campingplatz. Der Platzwart kommt nach Anruf vorbei, um das Formale zu erledigen, so dass wir morgen wieder zeitig in die Spur kommen.

Im Norden Deutschlands

Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern

In Münster haben wir uns mit Benedikt verabredet, meinem Arbeitskollegen in Hannover. Wir haben uns wegen Corona lange nicht mehr persönlich getroffen. Abgesehen davon, dass wir meist zuhause arbeiten, darf nach allgemeiner Policy ja immer nur einer im Zimmer sitzen. Münster - beim heutigen Zeitgeist, so manchen zuerst vom Tatort her bekannt - gilt ja als die fahrradfreundlichste Stadt Deutschlands. Mit unserer einmaligen Durchfahrt können wir da nichts dazu sagen, aber die rot gestrichenen Fahrradstraßen und Radwege sind schon etwas Besonderes. Aber was ebenso besonders ist: Münster ist seit 799 Bischofssitz, und u.a. auch deswegen hat die Stadt eine außergewöhnliche Bausubstanz vorzuweisen.

Münster

Biegt man bei der Anfahrt aus Südwesten in den Prinzipalmarkt ein, so kommt man beim Anblick der Bürgerhäuser mit riesigen Fassadenvorbauten, abgeschlossen von der St.-Lamberti-Kirche, aus dem Staunen nicht heraus. Wir nehmen erst mal an, dass die St.-Lamberti-Kirche der Dom wäre - aber Benedikt klärt uns auf. Er hatte am Dom gewartet - wir haben ihn aber nicht gesehen. Nach einem schönen Eisbecher folgt eine kleine Stadtrundfahrt mit Crashkurs in Sachen münsteraner Geschichte. Gut, dass sich heutzutage alles im Internet nochmal nachlesen lässt. ;-)

Benedikt

Benedikt muss wieder an die Arbeit, und auf uns wartet Niedersachsen und der Teutoburger Wald. Aber vorher wird schnell nochmal das Fahrgefühl mit so einem Reiserad und vollem Gepäck getestet. Ich vergleiche das immer gerne mit Bus fahren. Es ist halt alles etwas träger - aber dafür ist die Straßenlage hervorragend. An dieser Stelle nochmal vielen Dank für die Stadtführung.

Ich wage hier mal zu behaupten, dass das Jahr 9 und die Schlacht im Teutoburger Wald das Datum ist, dass bei den meisten vom Geschichtsunterricht her noch am ehesten hängengeblieben ist. So vermutet man irgendwie etwas Großes. Aber der Teutoburger Wald in der Gegend von Osnabrück ist relativ schnell durchquert. Zwei, drei Hügel und man hat's geschafft. Die Römer unter Publius Quinctilius Varus (42 v.Chr. - 9 n.Chr.) haben damals sicher etwas länger gebraucht - das Fahrrad war ja noch nicht erfunden. ;-) Unser heutiges Ziel ist Schwagstorf - schwer zu finden, da schlecht ausgeschildert. Der Ort hat aber einen schönen Campingplatz am See. Wir sind in Niedersachsen. Morgen ist Bremen an der Reihe.

Sparkasse

In der Bremer Altstadt, am Markt, ist der (zumindest frühere) Reichtum fast mit Händen zu greifen. Golden glänzt es aus allen Richtungen. Selbst die Sparkasse residiert in einem goldverzierten Gebäude aus sicher goldenen Zeiten. Rathaus und Roland (beide mehr als 600 Jahre alt) sind UNESCO Weltkulturerbe. Wir genießen den Anblick bei einem Espresso. Noch ein kurzer Besuch bei den Bremer Stadtmusikanten (Denkmal von Gerhard Marcks, 1953), und wir müssen weiter.

Störche

Hinter Falkenberg werden wir zufällig Zeuge eines beeindruckenden Naturschauspiels - wie soll man es sonst nennen? Auf einem Feld nahe dem Radweg haben sich sicher mehr als 100 Störche auf engem Raum zusammengefunden. Die Leute bleiben stehen und staunen. Ein anscheinend auf biologischem Gebiet etwas bewanderter Herr erzählt uns, dass es wohl seit dem letzten Jahr so ist, dass sie immer wieder hierher kommen. Man vermutet, dass es mit der Mäuseplage zusammenhängt. Aber so richtig versteht man es wohl nur, wenn man selbst Storch ist.

Störche2

Wir sehen auch etwas zu. Nachdem wir uns schon wieder in Bewegung gesetzt haben, bemerken wir, dass es unruhig wird. Viele der Störche erheben sich in die Luft, was ein nicht minder beeindruckendes Schauspiel ergibt. Überhaupt, auf der bisherigen Tour haben wir schon jede Menge Störche gesehen, aber so etwas noch nicht.

Eigentlich wollen wir noch bis Zeven, aber in Tarmstedt sehen wir den Hinweis auf einen Campingplatz. Es reicht eigentlich für heute. Morgen geht es bis Hamburg, da stehen ca. 90 Kilometer auf dem Plan - da können es ruhig ein paar Kilometer mehr werden.

Wir steuern Hamburg über Buxtehude an. Als Zeltplatz ist das Elbe-Camp bei Blankenese vorgesehen. Ursprünglich hatten wir ins Auge gefasst, nochmal ohne Gepäck in die Stadt zu fahren - aber von der Idee haben wir uns verabschiedet. Wir hatten schon genug "Stadt" im bisherigen Programm - also lieber etwas entspannen und evtl. freie Zeit auf dem Campingplatz verbringen. Außerdem bin ich in manchen Sachen ein etwas "altmodischer" Mensch und muss endlich mal meine Urlaubskarten schreiben.

Igel

Aber noch sind wir nicht da. In Buxtehude grüßen an jeder Ecke, in der Bäckerei und vor dem Laden, Hase und Igel. Das gleichnamige Märchen vom Wettlauf zwischen Hase und Igel spielt nämlich hier. Es ist zwar Bestandteil der Märchensammlung der Brüder Grimm, geht aber auf eine niederdeutsche Tierfabel zurück, die Wilhelm Schröder (1808-1878) kurzerhand von Bexhövede nach Buxtehude verlegte und im Hannoverschen Volksblatt vom 26.April 1840 unter dem Titel "Der Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel auf der kleinen Heide bei Buxtehude" veröffentlichte. Diese Details sind uns natürlich im Moment noch nicht bekannt. Aber das Marketing in Buxtehude funktioniert bestens, und man wirbt mit: "Buxtehude - Schlau wer schon da ist!" Finde ich sehr gelungen!

Estebrügge

Wir sind da. Aber wir müssen nach Hamburg. Von Buxtehude zur Elbe fließt die Este, die aus der Lüneburger Heide kommt. Links und rechts der Este kann man sehr schön mit dem Rad fahren, denn im Prinzip ist es eine Art Sackgasse. Am Ende kommt keine Brücke, sondern man muss die Fähre nehmen, um über die Elbe nach Hamburg zu gelangen. Wir sind jetzt im "Alten Land", einem Teil der Elbmarsch, der vorwiegend durch Obstanbau geprägt ist. Endstation ist Cranz. Man sagt uns aber, dass die Fähre nur bei Flut in Betrieb ist. Leider ist gerade Ebbe. Doch in Finkenwerder wird immer gefahren. Also eine große Runde außen um das Airbus-Gelände. In der Regel - wenn nicht gerade ein Flugzeug startet oder landet - gibt es da nichts weiter zu sehen.

Schiff

Die Fähre in Finkenwerder fährt nach Blankenese, das liegt ca. 5 Kilometer elbabwärts. Wir haben Glück, denn unsere Fähre liefert sich ein Wettrennen mit dem Tanker Stenheim, der unter der Flagge von Gibraltar fährt und auf dem Weg nach Norwegen ist. Für Landratten wie uns ist das schon spannend. Doch der Tanker ist einen Tick schneller als wir und setzt rechts zum Überholen an. Unser Fährmann muss letztendlich den Schub wegnehmen und den Tanker ziehen lassen, sonst würden wir an Blankenese vorbei fahren.

Strand

Das Elbecamp ist voll. Der Mann an der Rezeption sagt: "Ich lass' euch nur rein wegen eurem Dialekt. Für Fernradler sind wir offen. Leute aus der Gegend hier haben ohne Anmeldung keine Chance." Das klingt gut. Wir haben heute ausnahmsweise mal Zeit, und da der Zeltplatz unmittelbar am Strand ist, besteht die Chance auf ein Bad in der Elbe. Ich wohne seit 1978 in Dresden, aber in der Elbe habe ich noch nie gebadet - dann eben jetzt in Hamburg.

Wasser

Wie sauber oder schmutzig das Wasser ist, kann man ohnehin nicht einschätzen, weil es einfach eine Unmenge Sand enthält (vielleicht aufgewirbelt durch die Schiffsschrauben - wer weiß). Auf jeden Fall kühlt es ab, und das ist das Wesentliche, denn wir haben heute wieder weit über 30 Grad. Außerdem gibt es ja Duschen. Der Rest des Tages besteht aus Faulenzen: Essen, Karten schreiben, ein Bier trinken, ... und das alles schön im Schatten.

Der nördlichste Punkt ist erreicht. Es geht wieder nach Süden. Die heutige Etappe ist etwas kompliziert, was die Bundesländer anbelangt: Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Brandenburg - alles an einem Tag.

Hamburg

Doch zuerst geht es durch Hamburg. Eigentlich wollen wir ja nur auf den Elberadweg, aber irgendwie haben wir den nicht gefunden. Bei Altengamme sind wir endlich drauf. Davor haben wir noch zwei Power-Radler getroffen: Junge Kerle mit Rennrad und relativ wenig Gepäck. Die wollten heute noch nach Berlin: 300 Kilometer. Zuzutrauen ist es ihnen schon, aber aus unserer Sicht waren sie etwas spät dran. Etwas eher zu starten wäre bestimmt hilfreich gewesen.

Am Geesthachter Wehr endet der Einfluss der Gezeiten auf den Wasserstand der Elbe. Diese wird hier auf 4 Meter über NN angestaut. Vor wenigen Wochen ist hier ein Wasserwanderer, der in Pirna gestartet war, ums Leben gekommen, weil er anscheinend die Warnschilder missachtet hat. Nur das Paddelboot war wieder aufgetaucht Der Paddler wurde erst 4 Tage später gefunden. Geesthacht ist im Bundesland Schleswig-Holstein.

Elbblick

Wir fahren elbaufwärts auf der linken Seite und kurz vor Boizenburg kommen wir nach Mecklenburg-Vorpommern. Die Stadt war zu DDR Zeiten wegen der Schiffswerft bekannt, die aber nach der Wende nicht überlebt hat und 1997 Insolvenz anmelden musste. Die Kräne und Industriehallen sind vom Elberadweg aus gut zu sehen. Sie ruhen scheinbar in Frieden.

Aussichtsturm

Ab Boizenburg verläuft der Radweg direkt auf dem Elbdeich. Nach ein paar Kilometern kommt ein schöner hölzerner Aussichtsturm (Position 53.34010 10.75070), der als Pausenplatz einlädt. Die Räder kann man an rustikale hölzerne "Fahrradständer" anlehnen. Informationstafeln verraten, dass der Turm vom Land Niedersachsen gebaut wurde. Moment mal - sind wir nicht in Mecklenburg-Vorpommern? Tja, es ist eben nicht nur entlang des Rheins zwischen Deutschland und der Schweiz kompliziert, auch an der Elbe bezüglich der Bundesländer. Es kommt tatsächlich nochmal ein ca. 35 Kilometer langer Abschnitt, wo zu beiden Seiten der Elbe Niedersachsen ist.

Deich

Der Wind kommt ziemlich heftig aus Südost. Auf dem Deich muss man ordentlich dagegen ankämpfen. Zum Glück ist es öfters so, dass man zusätzlich auch hinter dem Deich noch fahren kann, was es manchmal ein wenig einfacher macht. Am Ende sind wir ganz froh, dass wir bei Dömitz auf die B195 wechseln können. Das ist zwar eine Bundesstraße, aber es ist kaum Verkehr. Der Campingplatz am Rudower See liegt dann schon im Land Brandenburg, in der Prignitz.

Im Osten Deutschlands

Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen

Wir bleiben noch etwas auf der B195. In Lanz grüßt uns am Ortseingang Turnvater Jahn (1778 - 1852). Wer hätte das gewusst, dass der hier geboren ist? Nach Wikipedia kann man ihn als Begründer der Sportart Geräteturnen ansehen. Reck und Barren wurden von ihm "erfunden". Aber da wir für Geräteturnen nur mäßiges Interesse haben, fahren wir mal lieber weiter.

Pegelstand

In Wittenberge kommen wir wieder an die Elbe. Hier wird der Pegel gemessen. Wir haben heute am 8.8.2020, 8:05 Uhr einen Wasserstand von 108 cm. Das hat man früher immer im Radio durchgesagt: Wasserstände und Tauchtiefen hieß das wohl - gibt es heute nicht mehr. 108 Zentimeter klingt recht wenig, aber wir sind ja nicht mit dem Schiff unterwegs.

Ab sofort folgen wir wieder dem Elberadweg. In Rühstädt dreht sich alles um den Storch. Dem Dorf wurde 1996 von der Stiftung Europäisches Naturerbe der Titel "Europäisches Storchendorf" verliehen. Seit den 1970er Jahren wird Adebar auf vielfältige Art und Weise gefördert.

Tafel

Es wurden von der Gemeinde sogar Überlandstromleitungen als Erdkabel verlegt. In besonders guten Jahren brüteten an die 40 Paare im Ort. Auch gibt es ein richtiges Besucherzentrum, gebaut vom Land Brandenburg. Alle Nester sind dokumentiert. Für jedes Jahr werden Ankunft, Anzahl der Jungen und Abflugdatum eingetragen.

Ein paar Kilometer weiter mündet die Havel in die Elbe. Damit sagen wir vorerst der Elbe ade. Wir werden sie später in Wittenberg wieder treffen. Mal Havelradweg, mal Bundesstraße - über Havelberg, Rhinow, Rathenow, Premnitz und Havelsee endet die Etappe im Wassersportzentrum "Alte Feuerwache" in Brandenburg an der Havel. Ziemlich im Stadtinnern steht man vor einem riesigen Backsteinhaus und fragt sich, wo denn hier ein Campingplatz sein soll. Aber es gibt ein Hinweisschild, und schaut man um die Ecke, da sieht es schon besser aus. Die Stellplätze für Zelte sind zwar etwas begrenzt - mal hier, mal dort. Vorwiegend sind Wohnmobile präsent - aber es ist Ok. Neben Radfahrern kann man auch Bootsreisende treffen. Wir schlagen unsere Zelte nahe der Anlegestelle auf. Es kommt gerade der schwimmende Kiosk vorbei, Gelegenheit so manches Notwendige noch einzukaufen.

Kiosk

Allerdings hat unser Stellplatz einen Makel. Das ältere Ehepaar vom Wohnmobil nebenan hatte uns schon gewarnt, dass hier irgendwo eine Kläranlage sein muss. Und tatsächlich - vielleicht liegt es auch nur an der Windrichtung - hat man die ganze Zeit eine ziemliche Geruchsbelästigung. Also möglichst nicht nahe der Bootsanlegestelle das Zelt aufbauen. Da stimmt irgendetwas nicht.

Glienicker Brücke

Der B1 folgend kommen wir nach Potsdam. Sanssouci ist natürlich beeindruckend. Es ist die enorme Größe der Anlage, die besticht. Aber auch die Stadt selbst ist schön aufgepäppelt. Das ist schon eine noble Gegend. Ein paar Kilometer weiter ist man dann an der Glienicker Brücke, die in der heutigen Ausführung 1907 freigegeben wurde. Hier hat man zu Zeiten der deutschen Teilung mehrfach Agenten ausgetauscht.

Brandenburger Tor

Auf der anderen Seite beginnt das Bundesland Berlin. Wir beschränken uns auf das Notwendige. Pflichtprogramm ist das Brandenburger Tor ... und das war's auch schon. Stadt ist halt mühsam für den Radfahrer, wenn man kein Insider ist, und so brauchen wir doch ziemlich lange, bis wir unseren Campingplatz südlich von Berlin, in Mahlow, erreichen. Der ist aber einer der schönsten der Tour. 2006 wurde er neu angelegt und er macht auch 14 Jahre später einen sehr gepflegten Eindruck. Der Tag endet mit einem ordentlichen Gewitterguss und bringt eine kleine Abkühlung. Gut für morgen, da stehen wieder 160 Kilometer auf dem Programm.

Wie haben nur noch Sachsen-Anhalt und Thüringen ausstehen. Von Mahlow aus Richtung Südwesten kommt man durch Beelitz - hier ist Spargelland. Die Zeit der Ernte ist vorbei, jetzt darf er wachsen, was notwendig zum Regenerieren für das nächste Jahr ist. Man überlässt hier scheinbar nichts dem Zufall, denn es sieht so aus, als werden die Felder bewässert.

Spargel

Kaum zu glauben: 2018 wurden in Deutschland 133.000 Tonnen Spargel geerntet. Damit stehen wir an 4. Stelle in der Welt. Davor liegen Mexiko und Peru. An der Spitze, wie könnte es anders sein, steht China mit 7.982.000 Tonnen (aus Wikipedia).

Wir fahren auf der B2, das heißt auf dem Radweg entlang der B2. Da muss man Brandenburg loben, die Radwege gehören zu den Bundesstraßen meist dazu. Hinter Marzahna kommt die Landesgrenze zu Sachsen Anhalt - und mit dem Begrüßungsschild ist der Radweg weg.

B2

Es folgt eine wahnsinnig lange Gerade bis Wittenberg. Es geht auf der B2 ca. 11 Kilometer durch den Wald immer nur geradeaus. Der Verkehr ist erträglich, aber die Kreuze am Straßenrand zeigen, dass hier schon einiges passiert ist - sicher weniger beim Radfahren, als beim Überholen unter Motorisierten.

Wittenberg ist ein echtes Highlight. Das Lutherjahr 2017 hat sicher viel dazu beigetragen, dass sich die Innenstadt so sehenswert präsentiert. Melanchthon und Luther als riesige Denkmale auf dem Marktplatz, Altes Rathaus, Stadtkirche, restaurierte Bürgerhäuser und in einiger Entfernung der Turm der Schlosskirche bilden die Kulisse.

Wittenberg

Hier könnte man lange sitzen bleiben. Aber wir müssen heute bis Löbejün, da fehlen noch einige Kilometer. Nach einem kurzen Besuch der berühmten Tür der Schlosskirche, wo Luther 1517 seine Thesen angeschlagen haben soll, geht es nach Überquerung der Elbe weiter südwestwärts.

Der Tag wäre sicher ganz planmäßig zu Ende gegangen, aber hinter Gräfenheinichen schlägt die Defekthexe das erste Mal zu: Winfried hat eine Platten am Hinterrad. Ein Glassplitter im Mantel wird als Übeltäter diagnostiziert. Ein neuer Schlauch und es geht weiter.

Panne

Wir haben gerade Raguhn hinter uns gelassen und steuern auf die A9 zu, als Winfried erneut Luftdruckabfall signalisiert. Wieder das Hinterrad. Jetzt wird es zeitlich eng. Wir müssen zurück nach Raguhn, da jetzt geflickt werden muss. Und um das Loch zu finden, brauchen wir Wasser. Während ich versuche, über Google Maps eine Übernachtungsmöglichkeit in Raguhn ausfindig zu machen, dreht Winfried schon mal um. Als wir uns im Ort wieder treffen, steht der Eimer Wasser schon neben dem Rad. Eine Anwohnerin an der Halleschen Straße hat geholfen. Aber eine Übernachtungsmöglichkeit kann sie auch nicht empfehlen. Wir sollten vielleicht mal im nächsten Supermarkt fragen. Ein paar Straßen weiter setze ich die Maske auf und versuche mein Glück. Einer jungen Familie, die gerade bezahlt hat, schildere ich unser Problem. Er meint: "Ja, Euch haben wir vorhin schon gesehen. Das Einzige was es gibt, ist eine Pension am Finkenberg, ca. 1 Kilometer von hier." Aber dort teilt man mir an der Wechselsprechanlage mit, dass man heute ausgebucht sei.

Tja, da kann man nichts machen. Winfried hat inzwischen alles soweit wieder montiert, aber beim Aufpumpen geht das Ventil kaputt. Diese Rennradventile sind nicht so optimal, da ist man mit Autoventilen besser dran. Also Rad wieder raus, den zweiten Schlauch flicken, Rad wieder rein. Da hält plötzlich ein Auto neben uns. Es ist der Mann aus dem Supermarkt, der fragt, ob es mit der Pension geklappt hat. Hat es ja leider nicht. Wir werden uns wohl irgendwo im Gelände ein Plätzchen suchen müssen. Er meint, wir sollten weiter die Straße fahren, hinter der A9 kommt der Ort Salzfurtkapelle. Dort den 2.Weg rechts, durch die Gärten, dann kommt man an einen Baggersee - da habt ihr eure Ruhe und Wasser gibt es auch. Das klingt gut. Danke für den Tipp!

See

Mit der Ruhe ist es relativ. Wir treffen erst mal auf die Dorfjugend, die abends am Baggersee scheinbar ihren Treffpunkt hat. Wir sagen, sie sollen sich nicht stören lassen, wir suchen hier nur einen Platz für's Zelt. Wir sollten möglichst etwas in Deckung gehen. Der Eigentümer der ehemaligen Kiesgrube wohnt gleich am See. Der findet es bestimmt nicht gut, wenn jemand hier übernachtet. Aber es passt alles halbwegs. Nach einem Bad im See und Abendbrot im Dunkeln ist der Tag gelaufen. Da werden es morgen eben ein paar Kilometer mehr werden.

Die vorletzte Etappe ist gespickt mit kulturellen Höhepunkten: Wettin, Querfurt, Freyburg, Naumburg. Aber das Beste kommt gleich am Anfang: Fährt man auf der A14 von Leipzig Richtung Magdeburg, so hat man in etwa bei Halle auf der rechten Seite den Petersberg, 251 Meter hoch. Mein Chef zu DDR Zeiten hat immer gesagt, dass man früher in der Schule gelernt hat, dass der Petersberg die höchste Erhebung auf dem Breitenkreis bis zum Ural wäre - was aber in Wiklichkeit nicht stimmt. Trotzdem, wenn man vorbeifährt, ist es immer ein schöner Anblick. Neben dem Fernmeldeturm gibt es auch eine Kirche. Von Dresden zum Petersberg ist als Tagestour etwas zu weit, deshalb ist unsere Deutschland-Tour DIE Gelegenheit, dort einmal vorbeizuschauen.

Pflaster

Wir machen uns die Anfahrt schwerer als notwendig. Über Ostrau, von Nordosten kommend, nehmen wir die erste Straße Richtung Petersberg, die K2133. Ein paar Meter und es wird Kopfsteinpflaster, aber mit richtig großen Steinen, wahrscheinlich vom Typ "Römische Heerstraße". ;-) Die zwei Kilometer stehen sicher unter Denkmalschutz. Man kann sich auch nur schwer an der Seite vorbeimogeln. Jetzt würde sich eine Federgabel auszahlen, oder man könnte am Reifen etwas Luft ablassen. Aber da ja jede Straße auch mal enden muss, lassen wir uns durchschütteln und nehmen es gelassen. Ein zweiter Abzweig wäre 100 Meter später gekommen, die K2132 - wahrscheinlich hätten wir dann Asphalt gehabt. So manches sieht man halt erst im Nachhinein.

Tor

Um mit den Worten von Melina und Sabina zu sprechen: "Es geht ein bisschen bergauf". Aber nicht schlimm, schließlich ist der Petersberg nur 250 Meter hoch. Seinen Namen hat er von der St.-Petrus-Kirche. Um 1100 wurde vom Erzbistum Magdeburg eine Kapelle errichtet. Ausgebaut zum Augustiner-Chorherrenstift und Kloster wurde der Petersberg, der bis zum 14. Jahrhundert Lauterberg hieß, dann von den Wettinern, die die Kirche als Familiengrabstätte nutzten. Seit 1999 gehört Sankt Peter der Communität Christusbruderschaft Selbitz, einem Orden der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Sowohl Brüder als auch Schwestern (seit 2012) leben in der Stiftsanlage.

Pilger

Die Kirche ist rund um die Uhr geöffnet. Einzelgäste, die eine stille Einkehr suchen, sind willkommen. Und wie es der Zufall will, wir sind etwa so gegen 9 Uhr vor Ort, macht sich gerade ein einsamer Pilger, mit Rucksack und Wanderstab, im Innenhof wieder fertig für den Tag. Wir kollidieren fast mit ihm, als wir durch die kleine Tür in's Innere der Kirche wollen.

Kirche

Die Atmosphäre ist schwer beschreibbar. Es herrscht absolute Stille, auf der Altarseite fällt Licht in das sonst dunkle Kirchenschiff. Auf der gegenüberliegenden Seite sind die Grabstätten der Wettiner. Hier ist kein Prunk zu bewundern, aber dafür spürt man den Heiligen Geist, oder das was man dafür hält. In der Mongolei würde man sagen: Der Ort strahlt Energie ab. Die können wir für heute und morgen auch gut brauchen. ;-) Nun, wir sind bei den ganz frühen Ahnen von August dem Starken gewesen, wie viele Dresdner können das von sich wohl sagen? Die meisten werden es gar nicht wissen. Mir war es auch neu.

Wir überqueren die A14 und kommen nach Wettin, dem Stammsitz der Wettiner, eines der ältesten urkundlich nachgewiesenen Geschlechter des deutschen Hochadels. Vorfahren lassen sich noch bis vor der ersten Jahrtausendwende rückverfolgen. Ein Foto von der Burg muss reichen, wir haben heute schon einige Zeit der Kultur gewidmet. Das Übersetzen über die Saale geht so schnell, dass man fast keine Zeit hat ein Foto zu machen.

Hochseilfähre

Interessant: Die Fähre ist eine Hochseilfähre, d.h. sie hängt an einem Seil und wird von der Strömung bewegt - hatten wir bisher auch noch nicht. Dann wird es anstrengend. Immer rauf und runter bis Querfurt. Dazwischen liegt noch der Süße See, der eigentlich salzig ist - aber eben weniger salzig als die anderen Seen in der Gegend. Unter der Erde befinden sich Steinsalzlagerstätten. Die Seen sind durch Auslaugung und späteres Einbrechen entstanden. Leider haben wir es versäumt mal nachzuprüfen, ob das mit dem salzigen Wasser wirklich stimmt.

LKW

Von Querfurt nach Freyburg nehmen wir die B180, in der Hoffnung, dass es am schnellsten geht. Radweg ist hier Fehlanzeige. Aber es gibt keine Täler - man ist ständig oben. Allerdings bekommen wir wegen eines lokalen Schauers rechts von uns straffen Gegenwind, so dass wir statt schnell nur sehr langsam vorwärts kommen. Es wird Knochenarbeit. In Freyburg ein Eis und dann gibt es wieder schönsten Radweg bis Naumburg ... und auch der Wind ist weg.

Naumburg

Nun könnte man sich den Naumburger Dom ansehen. Aber den Eindruck den die Stiftskirche Sankt Peter hinterlassen hat, wird man nicht toppen können - und so fahren wir einfach weiter. In Camburg haben wir Thüringen, unser letztes Bundesland, erreicht. Außerdem sind wir wieder an der Saale. Dieser folgen wir den Rest des Tages flussaufwärts.

Die magischen letzten Etappen! Auch diesmal hat sie es wieder in sich. Statt geplanten 102 Kilometern werden es 114 und statt 750 Höhenmetern werden es 1600. Wir biegen bei Jena-Lobeda in das falsche Tal ab. Da wir keine Lust haben, wieder zurückzufahren, wollen wir erst in Unterbodnitz wieder zur geplanten Route stoßen. Aber bis dahin gibt es ein paar Berge und Täler. Und auch danach geht es immer fleißig bergauf bergab. Mit Mühltroff sind wir wieder im Vogtland und damit in Sachsen angekommen.

Baustelle

Vielleicht noch eine kleine Begebenheit in Rodau: Man hatte uns schon vorher gewarnt. Eventuell kommt ihr da nicht durch. Es wird gebaut. Naja, mit dem Fahrrad kommt man meistens durch - wenn nicht gerade eine Brücke über einen Fluss weggerissen wurde. Wir kommen an die Baustelle, es ist ziemlich schwere Technik im Einsatz. Aber Winfried ist ja aus der Branche und übernimmt die Verhandlungen. "He, ihr müsst uns hier durchlassen. Wir wollen nach Hause, waren jetzt fast drei Wochen unterwegs. Wir müssen nach Triebel." Triebel kennen sie sogar. Wir sollen mal den Bienenzüchter grüßen und "Ihr könnt fahren." Später hinter Weischlitz, wir haben uns gerade im Globus-Einkaufszentrum einen letzten Espresso genehmigt und fahren hoch zur Ampel an der B173, überholt uns ein Transporter. Da gerade "Rot" an der Ampel ist, geht die Tür auf und man ruft: "Was, weiter seid ihr noch nicht?!" ;-) Es sind die Jungs von der Baustelle auf dem Nachhauseweg.

Oelsnitz

Eigentlich könnten wir kürzer fahren. Aber es besteht ja kein Zeitdruck. So entschließen wir uns, den Weg über Oelsnitz/V. zu nehmen - früher war das die Kreisstadt von Triebel. Außerdem ist es unser Geburtsort. Wir wollen die letzten Kilometer noch etwas auskosten. Richtung Triebel kommt dann der "berühmte" Lauterbacher Berg. Wenn man den geschafft hat, dann hat man es geschafft. Früher war das Kopfsteinpflaster, heute ist es feinster Asphalt - aber lang und steil ist es nach wie vor.

Triebel

Wir wollen das etwas "genießen". Dumm nur, dass es gerade Umleitungsstrecke für die B92 ist, da am Ortsausgang Oelsnitz gebaut wird. Damit herrscht ziemlicher Verkehr. Aber wir lassen uns davon nicht abschrecken. So mancher LKW-Fahrer wird uns wohl nicht sehr freundlich gesonnen sein, wenn er hinter uns herfahren muss - aber bergauf geht es halt nicht schneller. Dann ist das "Hohe Kreuz" erreicht, es kommt noch die "Wegabzweigung", und dann lassen wir es ausrollen. Gegen 18 Uhr hat sich der Kreis nach 19 Tagen, ca. 2600 Kilometern und 15000 Höhenmetern wieder geschlossen.

Radfahren in Deutschland

Das Folgende erhebt keinen Anspruch auf Objektivität. Da haben sich sicher viele viel intensiver und wissenschaftlicher damit befasst. Es ist einfach so unser subjektiver Eindruck, wie wir die Rundfahrt wahrgenommen haben.

Deutschland ist ja eher bekannt als ein Land der Autofahrer. Aber es scheint sich langsam etwas zu verändern, was die Einstellung zu den Nichtmotorisierten anbelangt. Das liegt vielleicht auch daran, dass viele, die sonst nicht mit dem Rad fahren würden, sich ein E-Bike zulegen und so wenigstens etwas in der Lage sind, die andere Seite zu verstehen. Man ist toleranter geworden, vielleicht etwas mehr im Süden als im Norden. Da wird nicht immer gleich gehupt, wenn man mal trotz Radweg auf der Straße fährt, und auch die Überholvorgänge sind rücksichtsvoller geworden. Ausnahmen gibt es natürlich immer.

Rot

Andererseits ist es gefährlicher geworden - insbesondere zwischen den Radfahrern. In der Rush Hour in Freiburg - wenn alle zur Arbeit wollen - da wird rasant gefahren, da muss man aufpassen. Da wiederum sind Fahrradstraßen, so wie in Münster oder Bremen, sehr hilfreich. So manch grelles Rot sticht etwas ins Auge, aber es soll halt auch beachtet werden. Nicht so gut gefallen hat uns die Strategie einiger Orte, den Radverkehr einfach mit auf den Fußweg zu verlegen. Man engt bewusst die Straße auf eine Spur ein (da kann man mit dem Auto auch keine Radfahrer mehr überholen) und baut stattdessen einen ebenso breiten Fußweg (natürlich gepflastert!), der dann zur Hälfte dem Fahrradfahrer gewidmet ist. Aus unserer Sicht keine gute Idee. Die Einheimischen werden sicher andere Wege kennen das zu umgehen, aber als Fremder hat man da keine Wahl. Das ist natürlich jetzt "Jammern auf hohem Niveau". Nüchtern gesehen kann man insgesamt nicht klagen.

Werkzeug

Neu für uns waren die Fahrradreparaturstationen, die man ab und zu mal sehen konnte. Notwendiges Werkzeug ist allgemein zugänglich, hängt freilich an der Leine. Als bewusster Radfahrer wird man sich sicher nicht auf so etwas einlassen, da hat man das Notwendige dabei, aber gerade in Zeiten von Mieträdern und Ausleihen per Handy vielleicht doch eine ganz nützliche Idee.

Jena

Und dann hat uns noch eine Werbekampagne rund um Jena gefallen. "Rücksicht kommt an" hat man in großen Lettern auf die Radwege gemalt. Das ist sicher der Weg, der am ehesten zur Einsicht führt. Man fühlt sich durchaus angesprochen, hat ja genug brenzlige Situationen selbst schon erlebt, vielleicht auch selbst verursacht. Das betrifft alle - Radfahrer, Motorisierte und auch die Fußgänger.

Das Fazit

Prinzipiell kann man es sich beliebig schwer machen. Es ist uns teilweise gelungen. :-) Um so größer ist natürlich hinterher die Freude, es doch irgendwie geschafft zu haben. Die Regenjacke war diesmal genau dreimal im Einsatz, konnte aber nach wenigen Minuten immer schon wieder weggepackt werden. Dafür war es oftmals ordentlich heiß, und manchmal hat der Muskelkrampf an die Tür geklopft - zumindest bei mir. Am Ende waren diesmal alle Magnesium-Vorräte aufgebraucht. Aber die Anstrengungen sind hinterher schnell vergessen.

Den schon mehrfach strapazierten Satz von den zu langen Etappen, den spar' ich mir diesmal - es wird wohl beim nächsten Mal wieder genauso sein. ;-)

In Sachen Bundesländer sind wir jetzt fit. Wir können sie sicher ohne Probleme aufzählen und wissen sogar, wo sie liegen. Vergleiche wollen wir hier nicht anstellen. Es ist ein Grundübel unserer Zeit, immer alles vergleichen zu wollen. Letztlich ist es oft Quelle von Unzufriedenheit. Etwas Schönes gibt es überall zu entdecken, man muss nur mit den richtigen Augen hinsehen.

Angekommen

Bleibt der Ausblick auf 2021. Eigentlich haben wir ja immer ein Jahr ausgesetzt, aber Corona hat eben alles durcheinander gebracht. Eine Deutschlandtour war nie geplant, nun ist sie gefahren. Im Nachhinein ist man froh darüber, dass es so gekommen ist. Es war mehr als eine Ersatzlösung. Dann werden wir den Baikal und die Mongolei eben im nächsten Jahr in Angriff nehmen, freilich mit dem Nebensatz - so Corona will.

Allen Unterstützern - Obdachgewährenden, Stadtführern, Tippgebern, sonstigen Unterhaltern, zu Hause die Stellung Haltenden und der Frau mit dem Wassereimer - nochmals vielen Dank. Und falls jemand weitere Details wissen will, dann kann er sich - wie üblich - an oldi@tour-d-europe wenden.

Manfred Rahmig